Seit einigen Tagen Nächten träume ich in bewegten Bleistiftbildern. Schwarz-weiß, hingekritzelt wie Skizzen einer Momentaufnahme. Aus einem Wulst aus Strichen und Punkten entfaltet sich ein Bild, für Augenblicke klar und deutlich, mit Gefühlen untermalt, bevor es – langsam aber unaufhaltsam zerknüllt wird und im Chaos aus tanzenden Strichen verblasst. Das Gefühl jedoch bleibt, und manchmal überlebt auch ein Bruchstück der Traumskizze. Ich wünschte, ich könnte es zeichnen. Vielleicht kann ich es mit Worten zeichnen?
Da ist ein mittelalterlicher Säulengang in der Dämmerung, scheinbar ohne Anfang, ohne Ende. Efeublätter ranken sich an den Säulen empor, verschmelzen mit der mächtigen Steinmauer im Hintergrund. Im Schatten einer Säule, kaum erkennbar, ein kleiner Junge mit großen, dunklen Augen, aus denen Angst blickt, aber auch Neugier und der Mut, aus dem Schatten herauszutreten – oder sofort wegzulaufen. Der Junge schaut mich an, während er die Säule mit beiden Armen umklammert hält. Seine Hände sind zerschunden, sein Haar ist schmutzig und strubbelig, seine Kleidung zerrissen. Ein Schatten zieht über sein Gesicht, das Funkeln seiner Augen erlischt. Trauer und Hoffnungslosigkeit überfluten mich. Vorsichtig gehe ich einen Schritt auf den Jungen zu, doch es ist zu spät …
Warum ich es nicht einmal versuche, zu zeichnen? Weil ich weiß, ich wäre mit dem Ergebnis niemals zufrieden, es würde nicht so aussehen, wie das Traumbild, das sich eingebrannt hat. Es wäre nur ein falscher, schlechter Abklatsch von den wirklichen Gefühlen, die diesen Traum malten.