Nachmittags schreibe ich desöfteren in Abwägungsunterlagen davon, dass bei Erdarbeiten eventuell ur- oder frühgeschichtliche Funde gemacht werden könnten und die darf man ja dann nicht einfach ignorieren und wieder zubuddeln; nein, man ist verpflichtet, sofort die zuständige Stelle bla bla bla anzurufen. So etwas schreib ich also ständig in die textlichen Festsetzungen der Planungsunterlagen, weil es eben so im Gesetz steht und hier ja nicht jeder machen kann, was er will. Und jedesmal, wenn ich diesen Hinweis in einer neuen Abwägung darniederschreibe, habe ich ein Bild im Kopf:
Donnerstag Nachmittag in der Denkmalschutzbehörde, ein angestaubter Bürokomplex, wo nur eine Kaffeemaschine funktioniert, der Fußboden knirscht, irgendwo ein altes Grammophon eine Schellackplatte wieder und wieder spielt, Kartons in allen Ecken stehen und die Zimmer mit Regalen vollgestopft sind. Alte Zeitungen stapeln sich und über allen liegt so ein anmoderter Hauch von Ewigkeit. Die Fenster sind klein und die Außenwand mit Efeu zugewachsen, als möchte es das Geheimnis des Hauses vor allzuviel Aufmerksamkeit und Neugier bewahren. Die Beamten hier haben Zeit, viel Zeit. Und mit Dingen aus einer anderen Zeit beschäftigen sie sich.
Die meisten sind eine Art Eigenbrödler, die nur widerwillig ihr Büro mit Kollegen teilen. Allein in ihren Bürozimmern hocken sie über früher gefundene Tonscherben und Glassplitter, wälzen Papier-Kataloge, während der Notebook-Monitor unbeachtet mit Google winkt; aber das mit dem Internet ist nichts für die Herren in den Cord-Anzügen mit den Ellbogenschonern und den Blechbrotbüchsen. Während sie sich ältere Funde mit der Lupe anschauen, murmeln sie ununterbrochen in sich hinein. Glücklich und zufrieden katalogisieren sie vor sich hin.
Das Telefon, ein klobiger grüner Klotz mit Wählscheibe aus den 50iger Jahren des letzten Jahrhunderts, dessen Telefonhörer noch schwer in der Hand liegt und sonst auf einer gigantischen Gabel schlummert, steht im Flur.
Plötzlich: Das Schellen des Telefons hallt durch die Flure. Erstarrt halten alle inne. Es ist DAS Telefon! Jemand muss an das Telefon gehen!
Minuten später nimmt der Dienstälteste ab, lauscht schweigend in den Hörer, nickt ein paar Mal. Dann erhöht sich seine Herzfrequenz. Sie haben etwas gefunden! „Wir schicken jemanden vorbei“, kann er gerade noch sagen, bevor er sich ans Herz fast und den Hörer auflegt. Er lässt sich auf den Bürodrehstuhl sinken. Neugierig treten die Kollegen näher. Es hat sich herumgesprochen, dass das Fundtelefon geklingelt hat. Es geht also wieder los. Neben dem Fundtelefon hängt ein Plan. Fein säuberlich und in akkuratester Handschrift sind die Namen der Mitarbeiter darauf notiert und welche Fundstellen sie derzeit bearbeiten. Wer würde zu dem neuen Fundort fahren?
Der Dienstführer nickt dem jungen Praktikanten zu, der – 30 Jahre jünger und ebenso viele Kilos leichter als die Eminenzen des Denkmalschutzes – sich sofort auf das Fahrrad schwingt, um die Bauarbeiter daran zu hindern, die gefundene winzige Scherbe auch nur anzuhauchen. Die Bagger stehen so lange still, bis sich die Denkmalschutzbeauftragten selbst ein Bild von dem Fund gemacht haben. Doch erst einmal drehen sie die Schelllackplatte auf dem Grammophon um, werfen die Kaffeemaschine an und diskutieren aus, wer am besten geeignet ist, aus seiner Bürohöhle hinaus in das 21. Jahrhundert zu kriechen.
Das ist gestern eben schnell zwischen zwei Synopsen entstanden, wurde auf FB gepostet, ist aber zu schade, um nur dort als Notiz unbeachtet herumzulungern, es kann also auch hier herumlungern. 🙂