2 Mal im Jahr habe ich einen Termin beim Zahnarzt. Zweimal im Jahr ist mir deswegen regelmäßig vorher schlecht. Ich gehe trotzdem hin, weil ich weiß, dass es durch Nicht-Hingehen nicht besser wird. Na gut, dann wäre mir vielleicht nicht schlecht, aber früher oder später würde ich mit Zahnruinen rumlaufen, die mich zwingen würden, das Lachen einzustellen, denn ich finde nichts abscheulicher als ungepflegte, kaputte Zähne. Igitt! Da ich also auch morgen noch herzhaft lachen und ebenso kraftvoll zubeißen möchte, nehme ich die unvermeidlichen Zahnarzt-Termine in Kauf und stelle mich der Herausforderung. Jedes Mal aufs Neue.
Habe ich jemals erzählt, woher meine fast panische Furcht vor Zahnärzten herrührt? Ich bin ein Kind der DDR. Als solches bin ich auch – wie eben alle aus meinem Heimat-Großdorf – zur dortigen Schule gegangen. Das war ein Altbau, in dem es immer nach Bohnerwachs roch. Ca. 1.000 Kinder von der 1. bis zur 10. Klasse hatten da Unterricht, und mitten drin in diesem Altbau: Eine Zahnarztpraxis. Natürlich wurden wir alle mindestens zweimal im Jahr durch diese Praxis geschleift, und ich meine geschleift! Es musste natürlich schnell gehen. Pro Kind standen jeweils nur ein paar Minuten zur Verfügung. Einfühlsame Behandlung war da nicht drin. Wenn du was hattest, wurde ohne große Vorwarnung gebohrt, geklopft, gefräst – und zwar ohne Erklärung, ohne Betäubung und wenn du in Tränen ausbrachst, wurdest du als Weichei beschimpft und dir in Aussicht gestellt, dich vor der restlichen versammelten Klasse, die vor der Praxis im Schulflur wartete, bloßzustellen. Wann immer Zahnarzt auf dem Stundenplan stand, war ich Wochen vorher schon verzweifelt und panisch.
Die Folge davon war, dass ich – sobald ich die Schule beendet hatte – Zahnarztbesuche völlig aus meinem Programm strich. Bis sich auch das furchtbar rächte und ich mit einer bösen, lange verschleppten und mit Schmerztabletten unterdrückten Zahninfektion heulend wieder vor der Wahl stand: Noch weitere Wochen Schmerzen im Gebiss oder eben einmal die Angst überwinden und den Arzt seinen Job machen lassen. Irgendwann sind die Schmerzen größer als die Angst und ich begab mich also, am ganzen Leibe zitternd, zu einem Zahnarzt. Meine damals 6-jährige Tochter nahm mich an die Hand und versuchte mich zu trösten, es würde schon alles nicht so schlimm werden! Ich hab es natürlich auch überlebt, bekam den Zahn des Anstoßes gezogen, überlebte auch das. Ging dann auch wieder regelmäßig zum Zahnarzt – aber die Angst und Panik jedes Mal vor dem Termin blieben mir erhalten. Mit dem Zahnarzt hatte ich jedoch eine unausgesprochene Abmachung: Wann immer ich einen Termin hatte, brauchte ich mich nicht ins Wartezimmer zu setzen (denn das machte es nur noch schlimmer), bekam – bevor ich in das Behandlungszimmer geführt wurde – einen „Beruhigungsschnaps“ wie ich es nannte (in Wirklichkeit war es sicherlich ein Kreislauf stabilisierendes Beruhigungsmittel) und es wurde nie länger als 30 Minuten an mir herumgebohrt und rumgesägt.
Dann zogen wir um. 800 km in den Norden. Es musste also auch ein neuer Zahnarzt her, dem ich vertrauen und der mich als Schisshase akzeptieren konnte. Ich fand ihn und war glücklich. Nach einem Jahr gab der jedoch seine Praxis weiter und ebenso seine Patienten, so auch mich. Doch ich war auch mit dem neuen Zahnarzt soweit zufrieden. Na ja – letztes Frühjahr hatte ich ja diese winzige Wurzelspitzenresektion.
Wie die meisten eventuell wissen, arbeite ich ja halbtags bei einem Anwalt und ohne gegen die Schweigepflicht verstoßen zu wollen nur so viel: Mein neuer Zahnarzt verklagte seinen alten Partner (meinen ersten Zahnarzt in der neuen Heimat). Da dieser aber Mandant bei uns ist, bekam ich natürlich den Zahnarzt-Kleinkrieg brühwarm mit – inklusive der gegenseitigen Vorwürfe der Unfähigkeit. Mir war klar, dass ich bei keinem der beiden länger bleiben konnte, mit dem Hintergrundwissen, das ich hatte. Es musste also ein neuer Zahnarzt des Vertrauens her. Und bei dem war ich gestern.
Es ist ja immer so eine Sache, einen neuen Zahnarzt zu finden, wenn man – wie beschrieben – so ein furchtbarer Zahnarztschisshase ist wie ich. Wie wird er wohl sein? Wird er mit deiner Angst umgehen können oder interessiert ihn das nicht? ist es jemand der Sorte, der dir 4 Brücken aufschwatzt, um seinen Surfurlaub auf Haiti zu finanzieren? Man weiß es vorher einfach nicht.
Im Wartezimmer saß nur noch ein junger Mann, offensichtlich nicht minder aufgeregt wie ich. Nervös blätterte er in einer dieser endlos langweiligen Zeitschriften. Aus den Nebenräumen drangen eben jene Geräusche heraus, die ausreichen, um mich in Schockstarre verfallen zu lassen. Vor den Fenstern des Wartezimmers tanzten selbst gebastelte Zahn- und Zahnputzzeug-Mobile; und ein selbst gemaltes gigantisches Ohr hing als Gemälde in dem sonst kargen Zimmer. Ich fragte mich, warum ein Zahnarzt ein Ohr-Gemälde in das Wartezimmer hängt. Plötzlich fragte der Jüngling mich, ob ich wüsste, wo hier die Toiletten seien. Ich wusste es nicht, war ich doch ebenfalls das erste Mal hier. Er stapfte zurück zur Rezeption, bekam die gewünschte Wegbeschreibung zum Klo und die Mitteilung der Zahnarzthelferin, dass sie sowieso auf dem Weg dorthin und auch gleich da wäre. WTF? Er guckte mich irritiert an und ich musste so lachen bei der Vorstellung, dass man hier nicht mal auf dem Klo in Ruhe seiner Panik frönen dürfte.
Der neue Zahnarzt selbst ist unheimlich nett – und eine neugierige Labertasche! *lol* Während ich auf dem furchtbaren Stuhl eher verkrampft der Dinge harrte, die da eventuell auf mich zukommen sollten, versprach er mir nicht die immer währende schmerzfreie Behandlung, sondern, dass davor eben nun einmal eine Spritze stehen würde, und Spritzen sind nun einmal spitz und pieksen. Ich lächelte ihn an – vor Spritzen hatte ich seltsamer Weise nicht die Spur von Angst. Er hörte sich meine bis dato gesammelten Zahnarzt-Erfahrungen an und wunderte sich nicht wenig über den Umstand, dass meine vor 1 ½ Jahren eingesetzte Brücke (mit der ich bisher total zufrieden war) noch immer nur mit provisorischen Zement befestigt ist. Mir schwant da jetzt so einiges. Überhaupt muss wohl an ein paar Stellen was gemacht werden (das hatte ich auch erwartet – es muss immer was gemacht werden); aber es ist nichts akutes, das reicht aus, wenn wir einen späteren Termin vereinbaren würden. Da ich die letzte Patientin war, unterhielten wir uns noch über Rom, Jensen Ackles, #supernatural, ob ich ein Knirscher bin? wollte er auch noch wissen. Das konnte ich aber nicht sagen, denn falls ja, wird das übertönt durch mein Schnarchen. Auch zu Guttenberg, der an diesem Nachmittag gerade zurückgetreten war, war Gesprächsthema. Alles in allem: Sehr entspannte Atmosphäre. Gebohrt werden musste nicht, nicht einmal Zahnstein musste entfernt werden, aber ein kleiner Entzündungsherd war auf dem Röntgenbild erkennbar. Aber so lange wie ich keine Beschwerden habe, würde eine Behandlung auch nach der JiB ausreichen.
Na gut … die eigentliche Bewährungsprobe als Zahnarzt kommt also für ihn erst noch. Aber die Praxis gefällt mir trotz ihrer schlichten, etwas ältlichen Einrichtung schon mal gut; vor allem weil man vom ersten Augenblick an merkte, dass die Chemie zwischen Arzt und Zahnarzthelferinnen (die beruhigend lächelnd immer mal wieder durch die Zimmer huschten) stimmte.
Ich kann das ja soooooooooo gut nachvollziehen.
Bin nervlich auch immer total am Ende, aber mein Zahnarzt und auch der, der die Praxis übernommen hat, kennen mich und wissen, wieviel Schiss ich habe.
Hab sogar schon einen Stuhl zerstört, weil ich mich so krampfhaft festgehalten hatte 🙂
Schön das es JIB geht und ich wünsche Dir weiterhin eine schmerzfreie Zeit.
Hugs