Sommer 1994. Es hatte tagelang geregnet. Dann endlich brach der Wolken verhangene Himmel auf und versprach, wenigstens für ein paar Stunden dicht zu halten. Ich schnappte mir meine damals 4-jährige Tochter, pflanzte sie in ihren Buggy und machte mich auf den Weg zur Dorfbibliothek. Auf dem Rückweg würden wir durch den Park laufen, am See ein paar Enten füttern. Zum Mittagessen wollten wir zurück sein – ein netter kleiner Spaziergang. So der Plan. Und wie so oft sollte es ganz anders kommen:
Der Nachhauseweg führte uns an dem Dorfplatz, genannt „Schießwiese”, vorbei, an dem im Sommer der Rummel stattfindet und wo ich Jahre zuvor meine ersten heimlichen Moped-Fahrstunden genommen hatte. Meine Tochter hüpfte vergnügt in ihren neuen Gummistiefeln durch die Pfützen, entdeckte Steinchen, Scherben, Schnecken und Tannenzapfen und übergab mir jedes einzelne davon mit einem strahlenden und begeisterten Lächeln. Am Rande des ziemlich matschigen Platzes standen Müllcontainer. Und wie alle Müllcontainer hatte auch die hiesigen die Eigenschaft, Sperrmüll und Abfall anzuziehen. Und Sperrmüll wiederum zieht neugierige 4-Jährige ebenso magisch an. Selbige turnte dann auch quietschfidel zwischen weggeworfenen Holzregalen, Autobatterien und verschimmelten Kleidersäcken herum und war nicht zu bewegen, den von mir als „bäh” titulierten neu entdeckten Abenteuerspielplatz so schnell wieder zu verlassen. Gerade schien es, als hätte ich sie doch mit der Aussicht auf geliebte Nudeln zu hause überreden können, weiterzulaufen, als ihr Blick auf ein dreckiges, nasses Etwas fiel, was aus einem zerrissenen Altkleidersack hervorschielte.
„Mama, Mama! Guck! Da ist eine Katze!”
Tatsächlich, das waren Knopfaugen, Fell und ein Schwanz. Alles in allem ergab eine ziemlich nasse und vor Dreck starrende Plüschkatze, ca. 60 cm groß und früher sicherlich weiß und kuschlig, die jemand in den Müll geworfen hatte. Vermutlich lag sie da bereits einige Tage. Meine Tochter begann, mit der Sturheit eines Kleinkindes an dem toten Plüschvieh zu zerren. Ich seufzte innerlich und wusste, dass ich keine Chance haben würde. Ich versuchte es trotzdem:
„Lass das M., die ist doch ganz schmutzig und nass!” argumentierte ich.
„Aber ihr ist bestimmt kalt und sie weint. Wir können sie doch mitnehmen, Mama! Dann ist sie nicht mehr allein. Bitte!”
Ich seufzte noch mehr und gab mich geschlagen. Was hatte ich auch gegen diese Argumentation schon aufzubringen? Und im Grunde tat mir das Plüschvieh ja auch Leid. So ein Ende hatte es einfach nicht verdient. Also gut, nehmen wir sie mit.
Ich pflückte mein Kind und die tote Plüschkatze von dem Müllberg und stopfte letztere in die durchsichtige Plastiktüte, die eigentlich zum Transport der Bücher diente. Das Plüschvieh stank und tropfte und war so vollgesogen mit Wasser und Schmutz, dass sie gut und gerne ihre 8 Kilo wog. M. schob ihren Buggy mit den Büchern und ich zog das nasse, schwere, stinkende Bündel totes Katzenplüschvieh hinter mir her. So trabten wir langsam wie eine seltsame Prozession nach hause.
Kurz überlegte ich noch, wie wir wohl auf die anderen Passanten wirken würden: Ein fröhlich singendes, Buggy schiebendes Kind vorneweg und ich mit einem tropfenden Bündel hinterher, das bestimmt den Anschein erweckte, als würde ich eine Katzenleiche durchs Dorf schleifen. Und wirklich, ein paar ältere Damen, die unseren Weg kreuzten, rümpften angewidert die Nasen, blickten mich vorwurfsvoll an und wechselten die Straßenseite. Ich fühlte mich wie auf dem Präsentierteller, mit der toten tropfenden Plüschkatze im Sack, die mit jedem Schritt schwerer zu werden schien.
Tapfer ignorierte ich missbilligende Blicke und neugierige Hunde. Wen ich nicht ignorieren konnte, war der Dorfpolizist, der vermutlich seine große Stunde als Columbo witterte, sich vor mir aufbaute und meinen Ausweis zu sehen verlangte. Ich lies den tropfenden Sack auf den Boden fallen und kramte in den unendlichen Weiten meiner Handtasche nach dem verflixten Ausweis, fand ihn auch gleich neben der Tüte mit den zermatschten Gummibärchen und präsentierte ihn etwas verlegen dem Gesetzeshüter, während ich überlegte, ob ich vielleicht gerade einen Diebstahl begangen haben könnte. Der Polizist warf nur einen flüchtigen Blick auf meinen Ausweis, räusperte sich und stellte dann die Frage, auf die ich bereits gewartet hatte:
„Was haben sie denn da in dem Sack? Sie wissen schon, dass tote Tiere durch den Amtstierarzt entsorgt werden müssen? Sie können hier nicht einfach tote tropfende Katzen durch die Gegend zerren!”
„Ähm, die ist nicht tot! Die ist nur nass. Und dreckig. Wir retten sie gerade. Es ist ein Plüschtier” erklärte ich ziemlich hektisch, während der Sheriff sich in ein „So, so!” flüchtete und weiterhin zweifelnd den Beutel beäugte, als würde er erwarten, dass das tote nasse dreckige Plüschkatzenvieh urplötzlich aus der Tüte und ihm ins Gesicht springen könnte. Dann lies er uns ziehen.
Endlich zu hause angekommen, verfachtete ich das nasse stinkende Etwas in die Waschmaschine, das Protestgeschrei meiner Tochter diesmal ignorierend. Ich versicherte ihr, dass Plüschkatzen total gern in Waschmaschinen herumgeschleudert werden und ihr das nichts ausmachen würde. In Anbetracht des wirklich immensen Dreckvolumens des Plüschviehs lies ich sie sämtliche Programme der Waschmaschine durchlaufen. Nach 4 Stunden baumelte dann tatsächlich eine weiße Plüschkatze an den Ohren festgeklammert an der Leine und zog anschließend – trocken und wirklich kuschelig weich – zu den 3 Millionen anderen Kuscheltieren in das Kinderzimmer meiner Tochter ein.
ooooch wie süüüüssss..
Aaaww. Weggeworfene Plüschtiere bringen mich heute noch zum heulen 🙂