Der emotionalste Moment war natürlich, als wir am Montag Nachmittag endlich die Spitzkunnersdorfer Straße nach Großschönau hinein herunter fuhren und ich zum ersten Mal nach über 10 Jahren das Dorf wiedersah, in dem ich Kindheit und Jugend verbracht habe. Es hatte sich kaum etwas und doch auch wieder so viel verändert. Es war überwältigend. Viele Häuser sind neu restauriert und erstrahlen im neuen alten Umgebindeglanz. Davon wird es auch ein paar Bilder geben.
Zunächst aber direkt zu Großschönau. Den besten Überblick hat man auf das Dorf vom Hutberg aus. Und damit fange ich auch an.
Zu den einzelnen Gebäuden komme ich noch. Wie oft war ich als Kind auf dem Hutberg; sei es von der Schule aus (weil wir den Wald fegen mussten und anschließend Räuber und Partisanen spielten), oder weil mich Vater mit zum sonntäglichen Frühschoppen nahm. Die Blaskapelle spielte und Vater schnitzte mir aus jungen Weidenzweigen kleine Trillerpfeifen. Und dann waren da natürlich noch die legendären Faschingsfeiern auf dem Hutberg! Der große Berg im Hintergrund ist die Lausche.
Das Gebäude mit der Nummer 1 ist mein eigentliches Elternhaus, in dem ich aufgewachsen bin. Davon gibt es später noch extra Bilder. Es war zu DDR-Zeiten eine HO-Gaststätte, die meine Mutter bis zu ihrem Tod leitete.
Nummer 2 zeigt die Dächer meiner damaligen Grundschule. 1977 stand ich mit einer großen Zuckertüte auf deren Stufen. Sie ist auch heute noch eine Grundschule und in ihr wurde auch Moni 1996 eingeschult.
Nummer 3: Ein jetzt verfallendes Fabrikgebäude, das damals mit zur Frottana gehörte. Dort habe ich in der 8. Klasse ein Jahr lang jeden 2. Donnerstag 8 Stunden lang arbeiten müssen. (Das Fach nannte sich PA = Produktive Arbeit). Ich habe in der Zeit Bademäntel mit der Hand abgefusselt, bevor sie in die Kartons kamen und in die BRD verschickt wurden, für Quelle und Co. Es gab auch Bademäntel und Handtücher, die für das sowjetische Brudervolk bestimmt waren; die wurden aber weniger sorgfältig kontrolliert. An denen für den Westen durfte keine Masche falsch sein und kein Fussel übersehen werden.
Nummer 4 schließlich sind die Dächer der Neubausiedlung, in der wir auch eine Wohnung (unsere erste eigene) beziehen konnten, nachdem Moni bereits 1 Jahr alt war und in dem alten 16 m²-Kinderzimmer (unter dem Dach bei Bild Nummer 1) definitiv kein Platz mehr war.
Nummer 5: Die „Gelbe Schule“, damals für die Klassen 5 bis 10 bestimmt; ist auch heute noch eine Mittelschule. Mein Klassenzimmer befand sich 5 Jahre lang in der rechten obersten Etage (direkt unter der 5 also). Unser Klassenlehrer war Herr Quaiser, „Pfeffi“ genannt, weil er immer auf einem Pfefferminzbonbon herumkaute, während er Deutsch und Geografie in unsere sturen Gehirne pflanzte.
Nummer 6: Der „Schießwiesn“-Hügel. Im Winter sind wir hier oft Schlitten gefahren, stundenlang, ausdauernd und ungeachtet nasser Schuhe und kalter Finger.
Die Nummer 7 schließlich war auch eine Schule, „Webschule“ genannt. Sie war schon damals baufällig; aber ab und zu hatten wir ersatzweise auch dort Unterricht und Werkstunde. Es roch dort immer sehr stark nach Bohnerwachs.
Das ist die Aussicht vom Hutberg auf den Finkenhübel. Mit meinem Vater bin ich dort Spazieren gewesen, im Winter, als der Schnee seit Tagen scharf wie eine Betondecke auf den Wiesen und Feldern lag. Einmal – ich muss so 10 Jahre alt gewesen sein – bin ich alleine losgezogen, um auf den Finkenhübel zu gehen. Es war wieder Winter, bitterkalt und schneidender Wind fegte über das Land. Ich war stundenlang unterwegs, der eiskalte Wind hatte meine Lippen aufspringen lassen. Mir war bitterkalt, aber der Weg schien kein Ende zu nehmen. Doch was blieb mir auch anderes übrig als weiterzugehen? Einmal unterwegs, gab es kein Zurück mehr. Es nutzte mir nichts, mich hinzusetzen und zu verzweifeln, weil ich nicht mehr laufen wollte und alles in mir weh tat. Ich musste weiter laufen, wenn ich nach Hause wollte. Das ist mir damals klar geworden, dass es nur auf mich ankommt, dass Weinen nichts nutzt, oder darauf zu warten, dass jemand kommt und dich rettet. Also lief ich und lief und weinte und der Wind schmerzte im eiskalten Gesicht und die Tränen froren zu Kristallen – aber ich lief weiter. Völlig zerfroren und mit steifen Fingern schaffte ich es schließlich nach Hause, wo Vater mir die steifen Hände unter kaltes Wasser hielt, und mich dann ins Bett steckte, mir noch einen heißen Kakao brachte, aber heimlich wohl stolz auf mich war, dass ich die Wanderung durchgehalten hatte.