Mein kleines Zimmer

Das hier wird ein sehr persönlicher Beitrag, der schon eine ganze Weile meine Gedanken beschäftigt und bei dem ich nicht sicher war und bin, ob ich ihn ungeschützt auf die Welt lassen soll. Andererseits – es ist ja nicht so, dass ich in der Öffentlichkeit stehe und jemand schlecht über mich denken könnte. Pah, vermutlich denkt so gar keiner über mich auch nur eine Nanosekunde nach. Das ist okay, dieser Blog – also ich – erhebt ja wie bekanntgegeben keinen Anspruch auf Beachtung. Und doch ist jeder Mensch, und auch ich, ein wenig eitel und will mit seinen besten Seiten wahrgenommen werden. Und wer geht dann schon mit den schlimmen hofieren? Aber dieser Beitrag wollte geschrieben bzw. erzählt werden, und wenn es nur für mich ist, und auch, wenn mein früheres Ich dabei nicht so gut wegkommt.

Es ist das Jahr 2021. Ich wiege sicherlich – wenn ich mich zu diesem Zeitpunkt auf die Waage gestellt hätte – mehr als 130 kg. Aber ich habe mich nicht (mehr) auf die Waage gestellt. Wozu auch? Alles war anstrengend. Alles. Die 3 x 2 Treppen in das 2. OG in unsere Wohnung wurde Tag für Tag schwieriger. Müll rausbringen? Eine Mammutaufgabe. Nicht nur, dass der Müll zu den eigenen Kilos an Gewicht ja noch dazu kam, die Knieprobleme machten es erforderlich, dass ich immer mit einer Hand am Geländer die Treppen hoch und vor allem runter musste. Da ist jeder Gang vorher abzuwägen, ob er notwendig ist. Meistens kamen wir zu dem Schluss, dass er dann doch nicht so dringend war. Das Gewicht und der Bewegungsmangel hatten dann natürlich auch Auswirkungen auf die Wohnsituation. Seit Jahren war eigentlich eine Renovierung der Wohnung fällig. Die letzte Renovierung lag mehr als 10 Jahre zurück, die Küche hatten wir 2012 neu gemacht. Aber in der Zwischenzeit hatte sich viel Gerümpel angesammelt und der stapelte sich. Die Wohnung bestehend aus Wohnzimmer, Kinderzimmer, Schlafzimmer, Küche und Bad war längst zu klein für die ganzen Sachen, die sich über 20 Jahre lang angesammelt hatten. Selbst einige Sachen der ausgezogenen Tochter, wie die Kiste mit den ausgetretenen Schuhen, die längst in den Müll sollten, stapelte sich noch im Flur, denn: die Treppen, das Knie-Problem, das Gewicht und die Scham. Später mal!
Und so zogen Jahre ins Land, zu der einen Kiste kamen andere dazu. Überall stand was herum. Später mal! Wenn wir renovieren, oder ausziehen! Immer dieses Später. Aber wann sollte Später sein?

Wenn wir die Energie aufbringen könnten, anzufangen, Müll wegzubringen, nicht mehr nur in der Dunkelheit, wenn die Nachbarn es nicht sehen. Also eigentlich nie. Wir wussten, es lag an uns, dass wir anfangen mussten, aber es war schlicht zu anstrengend, und mit jedem Jahr wurde es mehr, womit man hätte anfangen müssen. Wir waren vielleicht noch keine Messis, aber in die Wohnung reingelassen haben wir schon lange niemanden mehr. Zu schambehaftet. Die Couch, einst neu und unser ganzer Stolz, war in die Jahre gekommen, die Polster zerschlissen und von Katzenkrallen zerkratzt, besprenkelt mit Kaffee und Kakaoflecken, auch Katzenpisse, die Füße waren abgebrochen, das ausziehbare Schlafgestellt längst in den Latten gebrochen und nicht mehr nutzbar. Jede Ecke des Wohnzimmers war vollgestellt. Ähnlich in der Küche. Alles war irgendwie vollgestopft mit Zeug. Richtig kochen konnte man nicht mehr, weil man keinen Platz hatte. Der Geschirrspüler war seit Jahren kaputt, aber einen neuen zu bestellen hätte bedeutet, dass jemand kommen und den alten abbauen und mitnehmen müsste. Keine Chance! Natürlich fühlte man sich da nicht mehr wohl. Natürlich wussten wir, dass etwas passieren musste. Aber wo anfangen?

Knuffel und ich hatten seit Jahren bereits getrennte Schlafzimmer, weil wir einfach nicht mehr schlafkompatibel sind. Er mag es warm, ich muss es kalt haben. Ich lese noch stundenlang im Bett; ihn stört das kleineste Licht und leiseste Rascheln. Geschnarcht haben wir wohl beide, und es war nicht mehr sexy. Getrennte Schlafzimmer ist da nur die natürliche Folge und auch gut so. Ich „bekam“ das große Schlafzimmer, er das ehemalige Kinderzimmer. Und in dem großen Schlafzimmer lag ich oft und schaute auf das Chaos um mich herum. Auf der leeren Betthälfte stapelten sich Klamotten, vor dem Bett stapelten sich Kartons und Flaschenkästen, die man mal wegbringen will, irgendwann später. Im großen Kleiderschrank war nur Gerümpel, den man seit Jahren nicht mehr angezogen hatte. Der hätte ausgemistet werden müssen, aber da stand dann wieder das bekannte Problem im Weg. Wer bringts runter? Die Matratzen hätten schon vor Jahren ausgewechselt werden müssen. Es war kein Zustand. Es war nicht schön. Es war, wie es nun einmal war.

Ich verkroch mich in meine Welt. Mit dem Kindle konnte ich die Realität ausschalten. Meistens. Manchmal aber schaute ich mich um und stellte mir vor, wie ich mir mein Zimmer einrichten würde, wenn ich irgendwann einmal die Kraft und Energie aufbringen könnte, anzufangen auszumisten. Teil für Teil, auch wenn es Wochen und Monate dauern würde. Ich sah eine Kommode vor dem Fenster, meinem Bett gegenüber. Ein einzelnes Bett nur für mich und Bilder an den Wänden, vielleicht vom Meer. Gardinen vor dem weit geöffneten Fenster, vielleicht noch ein kleiner gemütlicher Sessel davor; alle Klamotten eingeräumt im Schrank, ordentlich und sauber und übersichtlich. Das ganze Zimmer gemütlich eben. Ein Raum, in dem man gern ist. Träumen konnte ich gut; aber die Energie, die Träume auch umzusetzen, fehlten dann doch.

Dann zogen wir aus und um. In unsere neue EG-Wohnung mit dem Waldwohnzimmer. Wir leben nun seit fast 2 1/2 Jahren in der neuen Wohnung, und sie ist nicht vollgestellt, sondern alles hat seinen Platz. Sie wird regelmäßig aufgeräumt und geputzt und es könnte jederzeit Besuch kommen. Und ich habe mein Zimmer, so, wie ich es mir oft vorgestellt habe, wie es sein könnte. Ich liebe es!

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