Müllhalden-Samstag

Sophie zappelte am Frühstückstisch und verschlang hastig das halbe Brötchen mit Marmelade. Das alte Röhrenradio an der Wand über dem Kühlschrank dudelte fröhliche Musik und die Frühlingssonne strahlte durch das weit geöffnete Küchenfenster. Vater raschelte mit der Zeitung und es roch nach Kaffee. Sophie mochte den Geruch von Kaffee. Mamutschka summte leise zu der Melodie im Radio und lächelte.

Endlich legte Vater die Zeitung weg. „Na, dann wollen wir mal!“ brummte er und Sophie sprang jubelnd auf, um sich ihre Schuhe anzuziehen. Es war Sonnabend, der erste warme Frühlingstag, und sie durfte mit Vater auf die Mülldeponie gehen. „Mach dich nicht zu sehr schmutzig!“ rief Mamutschka Sophie hinterher, als diese schon mit wippenden Zöpfen auf den Hof hinaus lief, wo Vater den klapprigen großen alten Leiterwagen aus dem Verschlag holte. Die eisenbeschlagenen Räder ratterten über das Kopfsteinpflaster, und Sophie begann fröhlich zu singen und unentwegt zu plappern, während sie im Leiterwagen saß, den ihr Vater vergnügt lächelnd zog.

Nach etwa einer Stunde hatten Vater und Tochter die Deponie am Dorfrand erreicht. Stundenlang stöberten sie in Bergen aus weggeworfenen Möbeln und Matratzen, alten Töpfen und zerfledderten Büchern, zwischen Bauschutthügeln und Sperrholztürmen. Für Sophie war es ein Abenteuer, fremde Welten voller unerzählter Geschichten. Immer wieder tönte die helle begeisterte Stimme des Mädchens zu ihrem Vater hinüber: „Schau, Papa, was ich gefunden habe!“ und stolz zeigte sie ihm ein altes Buch mit einer besonders verschnörkelten Schrift, die Sophie nur mit Mühe entziffern konnte; oder einen Topf, der nur ein winziges Loch im Boden und einen losen Henkel hatte. Vielleicht war ja in der nächsten halb demolierten, vermoderten Küchenkommode ein Schatz versteckt. Manchmal fanden sie sogar Geldmünzen. Sophies Vater suchte vor allem nach Kupferdraht, Altpapier und Gläsern, für die man bei der Sero-Sammelstelle Geld bekam. Für Kupfer bekam man sogar richtig viel Geld.

Schrauben, Bücher, Werkzeuge, durchnässte Plüschtiere, defekte Radios und Holzbretter stapelten sich bald im Leiterwagen. Auch Sophies Topf befand der Vater als noch brauchbar, das Loch im Topfboden würde er zulöten können. „Was ist das, Papa?“ fragte sie neugierig eine Art Eisenspule betrachtend, und Vater erklärte ihr geduldig, wie ein Röhrenradio funktionierte und das man das soeben gefundene Exemplar ganz sicher wieder zum Spielen bringen könnte. „Die Leute werfen einfach zu schnell alles weg!“, sprach er oft und schüttelte dabei missbilligend seinen Kopf. Sophie nickte dazu und strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. Die Sonne kitzelte die ersten Sommersprossen auf ihrer Nase heraus.

Als der Leiterwagen mit der Müllbeute randvoll gefüllt war, trabten Vater und Tochter, noch immer vergnügt pfeifend und singend, nach hause. Sophie hatte die Ermahnungen Mamutschkas, sich nicht zu sehr schmutzig zu machen, völlig vergessen und Vater nannte sie neckend Dreckspätzchen. „Du kommst dann gleich in die Badewanne!“. „Aber erst zeigen wir Mamutschka noch den Topf, wenn du das Loch geflickt hast. Sie wird sich bestimmt freuen!“ sprudelte das Mädchen. Sophie’s kleine Welt war in Ordnung und schön. Das war ein perfekter Sonnabend.

PS: Mamutschka bedankte sich lächelnd für den geflickten und gesäuberten Topf und gab ihn ein paar Tage später heimlich dem Trupp Junger Pioniere mit, die ihn zur Wertstoffsammelstelle brachten.

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