Gleich nach dem 24. Klingeln meldete sich der diensthabende Polizeikommissar und fragte nach meinem Problem. Ich hatte ein Problem, ein ziemlich großes sogar, und gefühlsmäßig wurde es mit jeder Stunde größer und meine Fantasie trieb nervöse Spielchen mit mir.
“Guten Tag, ich bin wohl eine ziemlich bescheuerte Angestellte, und ich habe Blödsinn verzapft!” antwortete ich der Stimme am anderen Ende der Leitung. Hörte ich da ein unterdrücktes glucksendes Lachen?!
“Worum geht es denn?” fragte der Telefonpolizist und gab sich betont einfühlsam.
Zum heute schon wiederholten Male schilderte ich mein katastrophales Vergehen:
“Ich heiße xxxxxxx, arbeite hier in Oldenburg in einer Firma und habe mich vor ca. 2 Stunden am Telefon wohl zu ausführlich unterhalten. Geschehen ist Folgendes: “
Wir schreiben das Jahr 2007, es ist Gründonnerstag, obwohl dieser Donnerstag in keinster Weise von anderen herkömmlichen Donnerstagen abweicht, auch nicht in Farbnuancen. Einziger Unterschied, den man vielleicht gelten lassen könnte: die Osterferien standen vor der Tür, Karfreitag winkte und ein herrlich langes, faules, gemütliches Wochenende mit Ostereiern wollte endlich anfangen. Die Kollegen waren bereits größtenteils entfleucht, nur ich harrte noch auf die Ankunft des Botens, der mich von den letzten Briefen und Päckchen befreien würde. Der Nachmittag trödelte vor sich hin. Mental trödelte ich genau so, als DER Anruf kam. Ich dachte noch: ‘Welch merkwürdige Nummer … 0013—’ und meldete mich wie gewohnt.
“Gutten Tak! Meine Name ist … (die zum Glück Frau nannte einen Namen, der sofort wieder in die ewigen Abgründe meines Vergessens entschwand). Wir sind eine Forschungsinstitut mit Sitz in Indien … (die Frauenstimme murmelte mantraartig einen sehr wichtig und ausländisch klingenden Institutsnamen herunter, von dem ich, als sie am Ende angekommen zu sein schien, den Anfang bereits wieder vergessen hatte). In meinem Gedächtnis hängen geblieben waren nur die Stichworte: ‘Forschung, Statistik, Indien’. Und das Gründonnerstag! Mir hätte Schlimmes schwanen sollen, allein … ich war heiter und gelöst und mental bereits in den Osterferien; also warum sollte ich mich nicht mit einer netten Frau aus Indien unterhalten?
“Was wollen sie denn?” fragte ich kühn und war nicht wenig gespannt, was nun kommen würde. Es kamen eine Unmenge an Fragen, ganz unverbindlich natürlich. Unsere Umsatzzahlen, Personaldichte, Zahlungsverhalten … die Fragen fingen relativ harmlos an, die Frau war freundlich und mir war langweilig. Und warum sollte ich nicht antworten, wenn ich gefragt werde? Irgendwo in meinem Hinterkopf mahnte jedoch schon eine Stimme: Sag nicht zu viel! Warum wollen die in Indien wissen, wie eine relativ kleine Firma hier in Deutschland ihre Tankrechnungen bezahlt? Ich überhörte einfach die mahnende Stimme im Kopf, draußen schien einladend die Sonne — es ging mir gut. Erst, als die indische Aushorcherin sich expliziert nach der Höhe unserer derzeitigen Barmittel erkundigte, konnte auch ich nicht mehr das Schrillen der metaphysischen Alarmglocken ignorieren. “Wieso will man denn das alles in Indien wissen?” erkundigte ich mich bei der Frau und bekam als Antwort “zu Forschungszwecken, es würde sich um eine Untersuchung der EU handeln”. EU in Indien? Der Teil meines Gehirns, der für geografische Zuordnungen verantwortlich zu sein schien, meldete sich mit einer quietschenden ERROR-Meldung.
Ich würgte das Gespräch ab, verwies auf die eigentliche, nur leider momentan nicht mehr anwesende Auskunftsperson in dieser Angelegenheit und gab netterweise sogar noch dessen Telefondurchwahl bekannt. Dann legte ich den Hörer auf … und machte “Hm!”. Was genau war jetzt eigentlich in den letzten 13,8 Minuten passiert? Was hatte ich alles ausgeplaudert? Welche Geheimnisse hatte ich jetzt nach Indien teleportiert? Mein Gehirn schnappte sich eine Tüte Vorstellungskraft und begann heiß zu laufen.
Zunächst versuchte ich das karussellartige Kreisen meiner Gedanken unter Kontrolle zu bekommen und begab mich dazu nunmehr auch körperlich in den Feierabend. Natürlich nicht, ohne vorher noch einen Feierabend-plausch mit Gerhard (einem sehr netten Kollegen aus dem Nachbarzimmer) zu halten. Das Gespräch kam unweigerlich auf diesen merkwürdigen Telefonanruf. Gerhard schaute mich nach einer Weile entgeistert an und fragte zum wiederholten Male: “Und du hast darauf immer geantwortet? Bist du eigentlich wahnsinnig?” War ich wahnsinnig? Leichtsinnig! Ja, leichtsinnig bestimmt. Mit Bestimmtheit auch total bescheuert! Was hatte ich mir bei der ganzen Geschichte überhaupt gedacht?! Nichts! Das war ja jetzt mein Problem! Ich hatte nicht nachgedacht! War es möglich, dass Verbrecher mittlerweile auch Aufwand und Ertrag vor einem Diebstahl kalkulierten, indem sie vorher Umfragen starteten? Würde jetzt eine indische Bande nach Oldenburg einreisen, um hier die Barkasse zu plündern? War ich dann schuld?
Ich bat Gerhard fix nachzuforschen, ob im Ünternäz herauszubekommen war, ob diese ominöse Nummer 0013 … tatsächlich bei den indischen Fakiren beheimatet ist. Er fand nichts, nur einen Forumseintrag über dieses Thema, dass scheinbar keinem Land der Erde die Ländervorwahl 0013 zugeordnet war. Woher zum Kuckuck hatte man mich angerufen?
Was sollte ich jetzt nur tun? Einfach in die Osterferien entschwinden, den Anruf vergessen und hoffen, dass nichts passieren würde? Während ich noch mit mir selbst rang, schlenderte der letzte anwesende Chef namens Michael heran. Und er sah wohl meiner ständig wechselnden Gesichtsfarbe an, dass irgendwas nicht stimmte. Ich rang mit mir. Dies war wohl meine letzte Chance, mich davonzuschleichen. Ich tat es nicht, sondern beichtete. Er fand es nicht lustig, warf mich aber auch nicht gleich raus!
Wir einigten uns darauf, dass ich tatsächlich ein bissel blöd war, das nun aber nicht mehr zu ändern wäre, wir die Kassen vorsorglich leeren und demonstrativ leer für jeden – auch indischen – Einbrecher sichtbar auf den Schreibtisch deponierten. War ich danach beruhigt? Kaum! Meine Fantasie malte mit niederträchtiger Freude weitere Horrorszenarien an meine Gehirnwände: Bollywoodartig tanzende, dunkelhäutige und tüchertragende Ganoven plünderten die Firma (sangen die dabei schmalzige Lieder????); ich würde am nächsten Arbeitstag anreisen und von der versammelten Belegschaft inklusive ALLER Chefs mit den Worten empfangen werden: Wie blöd muss man denn eigentlich sein?! und würde dann wahrscheinlich mit einem (verdienten) Arschtritt gepaart meine Kündigung in Empfang nehmen – das Gelächter und Verspotte schien mir bereits in den Ohren zu klingen.
Während ich mit Audileinchen Richtung Heimathafen düste, fiel mir auch noch ein, dass meine Vormittagskollegin ja nichts von dem merkwürdigen Telefonanruf wissen konnte, die offen rumstehenden, leeren Kassen höchstwahrscheinlich völlig falsch interpretieren und vermutlich dann erst recht die Polizei auf Verbrecherjagd schicken würde. Krampfhaft versuchte ich also, eben besagte Kollegin schonend von den Umständen zu informieren, hatte jedoch telefonisch keinen Erfolg – sie sammelte bereits irgendwo Ostereier und war erst wieder nach dem Cholesterinschlachttagen erreichbar.
Abends dann überfiel mich blitzartig doch noch die Idee, die Polizei zu verständigen. Immerhin wüssten die dann schon mal, dass turbantragende Schurken vorhaben, über die Osterfeiertage meine Firma zu plündern und mir damit das Leben schwer zu machen. Seufzend stellte ich mich auch dieser Herausforderung und wählte die entsprechende Nummer.
“… und nun bin ich telefonisch eben bei ihnen gelandet, um ihnen das alles zu beichten und sie von meiner Blödheit zu informieren” schloss ich meinen kurzen, hektischen Bericht der Ereignisse. Der Polizeibeamte hatte brav alles angehört und sich seinerseits Kommentare verkniffen, vermutlich war jedoch sein Telefonnotizblock mit grinsenden Smilys gepflastert.
“Hat denn ihre Firma eine Alarmanlage?” fragte er, nachdem er sich meinen Namen und alle nötigen Daten notiert hatte.
“Alarmanlage?”, dachte ich laut “Nö, nicht wirklich, es sei denn es zählt auch der Wassergraben vor dem Haus als solche. Ich fürchte aber, dass die darin schwimmenden Goldfische nicht wirklich indische Einbrecher von ihrer verruchten Tat abbringen können, obwohl sie – also die Goldfische – durchaus bissig sein sollen, so munkelt man!”
Der Polizeibeamte kicherte, schien sich dann aber selbst zur Ordnung zu rufen und erwiderte: “Hm, das ist ja jetzt wirklich blöd gelaufen!” (Er sagte tatsächlich “blöd”). Ein indisches Verbrecherkartell, das vorher höflich seine potenziellen Opfer telefonisch ausfragt, ob es sich lohnt, sie auszurauben, ist ihm zwar so noch nicht in den Akten aufgetaucht, aber man kann ja nie wissen. Jedoch hätte er ja jetzt einen Aktenvermerk gemacht und die Kollegen würden ein bisschen öfters in der Gegend über die Osterfeiertage Streife fahren. Ob das dann tatsächlich so war, weiß ich nicht, aber die Vorstellung beruhigte meine flatternden Nerven. Ostern konnte kommen.
Ostern 2007
Hey super Blog! Weiter so 🙂
Ich löse auf: die Vorwahl 001 (gerne auch geschrieben als +1) ist die USA, United States of Amerika. Aber da es das Jahr 2010 ist … Da konnte man noch falsche Telefonnummern selber erzeugen und damit anrufen.
Nun ja, du hast bestimmt etwas daraus gelernt ^.^