Gut das ich erwachsen bin

Im Supermarkt war es angenehm kühl. Das war aber auch bereits der einzige Vorzug, dem ich dem freitäglichen Großeinkauf noch abgewinnen konnte. Es war jetzt 18 Uhr, und ich hatte gehofft, dass die Mehrzahl der Kunden motivierter als ich gewesen wären und ihren Einkauf längst hinter sich gebracht hätten. Dem war nicht so. Ein bisschen missmutig stapfte ich durch die Regalschluchten, schlängelte mich mehr oder weniger elegant an dämlich geparkten Einkaufswagen vorbei und arbeitete meinen Zettel ab: Milch, Brot, Butter, Eier …. jede Woche das selbe Spiel.

Um der kaufhauseigenen Musikberieselung a la Wildecker Herzbuben, die nur von der noch grusligeren und in Ohrenbluten auslösendem Sächsisch durch die Deckenlautsprecher geplärrten Sonderaktion: “Wür hoaben fier Sie reduzierd: Een Gilogroamm Schweinenaggenschtägs zum halben Preis!”, zu entkommen, baumelte mein MP3-Player um meinen Hals und versorgte meine Lauschlappen mit meiner Lieblingsmusik – Die Ärzte – während ich die im Angebot stehenden Müslisorten argwöhnisch musterte und zu ergründen versuchte, warum ich für die eine Tüte Körnerfutter fast das doppelte zahlen sollte.

“Gut das ich erwachsen bin” sang Bela B. mitten in meinen Kopf und ich grinste vergnügt. Meine Lippen zuckten, bereit, lauthals mitzusingen, doch mein Verstand nagelte ein erschrockenes STOP! an die Gehirnwandhälfte, die für Mitsingen verantwortlich ist, und ich beließ es bei einem kaum hörbaren Mitsummen.

“Bitte, Mama, nur den einen!” quengelte es vom anderen Ende des Müsliregales zu mir heran. Die Süßigkeitenfalle, die ich seit Monaten mied, hatte ein Opfer gefunden. Ein vielleicht 6-jähriger Junge versuchte seine schon etwas gestresst aussehende Mutter von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass er ohne diesen einen bestimmten Mars-Riegel ganz sicher nicht weiterleben würde können. “Mama, nur den einen!” versuchte er es erneut und bugsierte vermutlich nicht zum ersten Mal besagten Riegel in den Einkaufswagen, aus dem ihn die Mutter mit stoischer Gelassenheit sofort wieder entfernte und in das Regal zurück stellte. “Wir haben ausgemacht, dass du nachher ein Eis bekommst, Lasse!” argumentierte die Mutter in der geradezu lächerlichen Hoffnung, damit bei dem Sohn auf Verständnis und Einsicht zu stoßen. Aber was hatte auch das in Aussicht gestellte Eis mit dem jetzt so verlockend im Regal liegenden Schokoriegel zu tun? Der Bub machte erwartungsgemäß keinerlei Anstalten, von seinem Ansinnen auch nur ein Ringellöckchen breit abzurücken und stellte sich offensichtlich auf einen härteren Stellungskampf ein, zerknitterte sein Gesicht in weinerliche Falten und griff abermals nach dem Schokoriegel. Die Mutter inklusive Einkaufswagen war unterdessen bei mir und den Müslitüten angelangt. Ich schürtzte demonstrativ das totale und uneingeschränkte Interesse an den Inhaltsangaben von Kölln-Müsli-Flocken vor, wartete aber insgeheim auf die Vorstellung, die der kleine quengelnde Junge sicherlich bereits im Detail plante. Ich wurde nicht enttäuscht.

“Mama, ich will das Mars haben!” setzte der Quälgeist erneut ein, schmiss noch ein “Bitte!” hinterher und ich fragte mich, ob das jetzt reine Sturheit war oder er wirklich hoffte, dass, wenn er nur energisch und ausdauernd genug bettelte, seine Mutter irgendwann urplötzlich ihre Meinung ändern und den Süßkram im Korb einfach resignierend tolerieren würde. Er hatte wohl auch nicht ernsthaft damit gerechnet, dass sein Muttertier diesmal nachgibt, und als er sie nur den Kopf schütteln sah, verschränkte er die Arme vor der Brust, zerknautschte das Gesicht noch mehr, stülpte die Lippen zu einem Schmollmund und quetschte die ersten Tränen hervor. Die Mutter seufzte hörbar und ich hatte den Eindruck, dass sie so ziemlich genau wusste, was in den nächsten Minuten auf sie und ihre Nerven zukam: ein störrisches, heulendes, quengelndes und bockendes Kind, das sich strikt weigern würde, den begehrten Schokoriegel aufzugeben oder auch nur das Regal mit den Süßigkeiten zu verlassen. Sie schob unbeirrt ihren Einkaufswagen in die Brotabteilung einen Gang weiter, was taktisch klug war, denn Sohnemann musste sich nun entscheiden: entweder blieb er hartnäckig stehen, schmollte aber in Abwesenheit der Mutter, was auch schon einem 6-Jährigen zu der Erkenntnis brachte, dass das keinerlei Ergebnis bringen würde. Oder er zuckelte jetzt dem Muttertier hinterher und versuchte sie durch weiteres Quengeln doch noch zu erweichen, auch wenn er dazu zunächst seine Position am Süßigkeitenstand aufgeben musste – vorerst jedenfalls.

Offensichtlich entschied er sich für die letztere Option. Ich war indessen ebenfalls im Schokoriegel-Paradies angekommen. Gerade, als er seiner hinter einer Toastbrotpyramide und einem Baguette-Stangen-Wald verschwundenen Mutter hinterher schlurfen wollte, rückte ich in sein Blickfeld. Sekundenlang sahen wir uns in die Augen. Und dann musste ich es einfach tun:

“Gut dass ich erwachsen bin!” sang ich laut, griff nach dem Marsriegel, grinste den kleinen Jungen an und hüpfte in Pippi-Langstrumpf-Manier an ihm vorbei an das andere Ende des Ganges.

Er war verblüfft, er war fassungslos, und er hatte nicht nur den Schokoriegel sondern auch die nächste Quengelattacke vergessen. Mit großen Augen blickte er mir hinterher, dann hörte ich seine kleinen Füßchen in die entgegengesetzte Richtung tapsen und ihn empört zur Mutter sagen: “Die Frau da hat laut gesungen!”. Die weitere Unterhaltung verlor ich hinter dem Wurststand aus den Ohren, doch ich schmunzelte noch vor mich hin, als ich zur Kasse marschierte.

“Gut dass ich erwachsen bin!”, sang Bela weiter in meinem Kopf, und ich stimmte ihn still und vergnügt zu.

Über den erstandenen Mars-Riegel freute sich mein Knuffelchen.

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2 Antworten zu Gut das ich erwachsen bin

  1. UGG Boots sagt:

    This article was very useful for a paper I am writing for my thesis.

    Thanks

    Bernice Franklin
    UGG Purses
    UGG Bags
    Classic Tall Chestnut

  2. sajec sagt:

    Hi, now I’m curious: useful for a paper? A paper about shopping? *laugh* Or about how grown-ups act like a child? 🙂

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