Seit einigen Tagen (und leider auch – was fast noch schlimmer ist – Nächten) quakt es. Nicht irgendwo! Nein! So ziemlich genau unter meinem Schlafstubenfenster. Eigentlich war es auch nur eine Frage der Zeit, bis der Graben an unserem Haus von jenen quakenden Wesen als Heimstatt entdeckt werden würde. Fritz (wir müssen dem neuen Untermieter ja einen Namen geben) zog also ein, und meine schlaflose Zeit begann.
Montag Abend:
Ziemlich geschafft wollte ich mein müdes Haupt zur nächtlichen Ruhe betten. Der Tag war – für einen Montag nicht unüblich – anstrengend und stressig gewesen, was auch nicht verwundert, hatte man sich doch gerade an das dahinplätschernde und dadurch sehr erholsam wirkende Wochenende gewöhnt und die hetzerische Schwere der vergangenen Tage gerade fallen lassen können; da wird man an jeden dieser schon besungenen Blue Mondays erbarmungslos wieder in die Hast des Alltages gezerrt. Doch ich schweife ab.
Ich lies mich also ziemlich erschöpft in die Federn fallen, mein mir Angetrauter schnuffelte bereits wohlbehaglich vor sich hin. Kurz überlegte ich noch, welches Einschlafprogramm ich diesmal wählen sollte – Radiogebrabbel, Leselektüre oder das sanft dahinmurmelnde Hörbuch, welches seit Wochen im Player deponiert war, das ich aber nie so richtig zu Ende hören kann, weil mich Morpheus beizeiten und gewollt entführt. Ich entschied mich, dem Hörbuch eine erneute Chance zu geben, versorgte meine Ohren mit Kopfhörern und war für weitere 10 Minuten Abenteuer in der Fantasiewelt a la Holbein bereit!
Es fing harmlos an, ein einzelnes „Quak” tönte, noch zurückhaltend will mir heute scheinen, zu mir durch das angekippte Fenster herauf. Zunächst glaubte ich an eine dramaturgische Hörbucheinlage – immerhin buddelte sich der Held ebenfalls gerade durch die kalifornische Botanik. Jedoch beim zweiten Quak, diesmal bereits eindeutig lauter und forscher, wurde mir klar: das kam nicht aus den Kopfhörern, das war Leben pur! Während ich bereits auf das dritte „Quak” des Abends wartete, plätscherte die Geschichte längst an meinem Gehirn vorbei, ohne von selbigen aufgenommen zu werden. Holbein war gestorben, meine Ohren, ja mein ganzer Körper waren auf das nächste Quak fixiert. Und dieses kam – unausweichlich.
Der dritte froschliche Ausruf von amphibischer Vitalität klang lang gezogen, begann eher tief (wie „quooooooooak”) und steigerte sich in der Lautentwicklung zu einem immer höher werdenden „quoooaaaaaiiiiiiiik”. Kein Zweifel: da war ein Frosch, und offensichtlich hatte er nicht vor, seine frisch eroberte Bühne für seine verbalen Attentate zu räumen.
Es nutzte nichts, ich musste mich aus dem Bett schwingen und versuchen, einen Blick auf den nächtlichen Ruhestörer zu erhaschen. Es war schon ein wenig dämmrig, aber mit Glück würde ich diesen vermaledeiten Quäker lokalisieren. Nicht, dass ich danach hoffte, froschlos schlafen zu können! Machen wir uns nichts vor! Auch würde er sich wohl kaum durch meinen Anblick von seinen Konzertausbrüchen abbringen lassen. Allein: ich musste wenigstens versuchen, dem neuen Feind in meinem Leben ins Angesicht zu blicken, und zwar energisch!
Sekunden später schnappte das Rollo nach oben und ich stand im Nachthemd am Fenster und spähte in den abendlichen Schlafzimmerabgrund hinunter.
Nebel? Am Abend? Wie ungewöhnlich! schoss es mir durch den Kopf, bevor ich missmutig erkennen musste, dass das Fenster mal wieder einer Putzaktion bedurfte. Außerdem war auch noch das Fliegengitter zwischen mir und dem anvisierten Zielobjekt und behinderte nachhaltig meine Bemühungen um Sicht.
Leise, um meinen nun schon unruhig grunzenden Gatten nicht noch aufzuwecken (wie kann der überhaupt bei dem Gequake da draußen so ignorierend pennen? MÄNNER!), öffnete ich das Fenster gänzlich, entfernte ein Stück Insektenabwehrschutzschirm und verschaffte mir ein Bild von der Lage
Was ich sah – besser gesagt zum ersten Mal bewusst registrierte – war, dass es sich bei dem Bereich unter meinem Fenster um ein wahres Luxuswohngebiet zumindest für Frösche handeln musste. Alles war vorhanden: ein mehr als Tümpel zu bezeichnender Graben mit Wasseranschluss, Schilf, Bäume, Gras und Frischfleischverpflegung direkt vor der Nase bzw. vor der Froschzunge, wie die wie wild zirpenden Grillen unüberhörbar demonstrierten. Wäre ich Frosch, wäre ich wahrscheinlich schon längst hier eingezogen! Den Frosch sah ich nicht, er gab auch, während ich mit Argusaugen die Gegend absuchte, keinen Laut von sich.
Ich hüpfte wieder ins Bett und kalkulierte meine Möglichkeiten: Hoffnung ist bekanntlich ein sehr intensiver Zustand. Ich könnte darauf hoffen, dass Fritz, der Frosch, von alleine kapitulieren und sich andere Nachbarn suchen würde, die sein Quaken als Wunder der Natur und Schöpfung ansahen und glücklich beseelt und wie bekiffet dabei lächelnd seinen Aufführungen lauschen würden. Fritz zerstörte diese Hoffnung jäh mit einer neuerlichen Quaktirade. Der kalte Krieg zwischen uns war eröffnet.
Ich könnte das Fenster schließen, würde dann aber erfahrungsgemäß den nächsten Tag mit der Urgroßmutter aller Kopfschmerzen beginnen müssen. Das kam also nicht in Frage.
Die Decke über den Kopf zu ziehen stellte auch keine Option dar, denn ich gehöre zu den Kopf-und-Füße-kalt-Schläfern.
Bliebe der Versuch, das nächtliche Quaken durch andere, wohlgefälligere Töne zu übertönen, z.B. mit Nachrichten oder Essays aus dem Radio. Wieder bewaffnete ich meine Ohren entsprechend, suchte im Ultrakurzwellenbereich nach passendem Gebrabbel, wurde fündig und lauschte nun einer Diskussionsrunde mit Hörerbeteiligung über Sinn und Nutzen von mehr Krippenplätzen.
„… und man muss ja auch einmal die globalen Zusammenhänge im Blick behalten!” ereiferte sich gerade einer der im Studio anwesenden Experten! „Die Deutschen haben eine der niedrigsten Geburtenraten in Europa, und die Tendenz ist weiter absteigend. Wenn wir dem nicht entgegensteuern, werden wir spätestens in 10 oder 12 Jahren …. „ QUAK QUAK QUAK QUAAAAAK! „…..
Ich erfuhr nicht mehr, welches Schicksal nach Expertenmeinung den zeugungsfaulen Deutschen drohte, Fritz hatte sich lautstark wieder in Erinnerung gequakt und sofort den fürchterlichen Gedanken in mir frei gesetzt, dass Frösche wohl weniger zimperlich in Bezug auf ihren Fortpflanzungswillen waren. Vermutlich würde ich bald nicht nur einem Frosch, sondern einer ganzen Armada ausgesetzt sein, wenn Fritz erst mal seinen Freunden, Bekannten, Nichten, Neffen, Cousinen und Tanten usw. von dem idyllischen Ort berichtet hätte und diese dann ebenfalls sich hier niederlassen würden. Es wäre dann nur noch eine Frage der biologischen Froschvermehrungsgrenzen, bis man vor lauter Gequake selbst aus dem Fenster springen müsste.
Unterdessen wetterte im Radio ein ältlich klingender Mann am Telefon – offensichtlich ein Hörer also – gegen die Regierungen im Allgemeinen, die hiesige im Speziellen und das der Bush im Irak gar nichts ausgerichtet hätte. Hä? Ging es nicht gerade eben noch um globale Kinderbetreuung? Ich war verwirrt, und Fritz quakte immer noch und scherte sich einen Dreck darum, dass ein paar einsame nächtliche Radiowellenempfänger gerade versuchten, die globalen Probleme zu lösen.
Ich schaltete das Radio ab.
Kurzzeitig war ich versucht, den neben mir noch immer unbekümmert schnarchenden Ehegatten wachzurütteln, ihm einen Knüppel in die Hand zu drücken (in diesem Falle hätte der Knüppel sehr große Ähnlichkeit mit dem Schrubber und wäre bei genauerer Betrachtung auch als selbiger erkannt worden) und ihn auf seine Rolle als Männchen, Revierverteidiger, Spinnenentsorger und Beschützer hinzuweisen. Auch diesen Gedanken verwarf ich, gehörte nächtliches Fröschejagen eher nicht zu den Lieblingssportarten meines Mannes, abgesehen von dem nicht unerheblichen Risiko, dadurch nicht nur die quakende Kröte nicht los zu werden, sondern auch noch einen gepfefferten Ehekrach zu entfachen.
Aber wir hatten doch eine Kampfkatze! Diese heißt Klecks, ist ein ¾-jähriger getigerter Kater, am Wischmopp kampferprobt und todesmutig … und ein Stubentier! Er pennte friedlich im Bad und kümmerte sich nicht um Fritz. In Sekundenbruchteilen stellte ich mir vor, wie ich Klecks am Schlafzimmerfenster abseile, er sich auf Fritz stürzen und wahrscheinlich mit einem tollpatschigen Plumpsen im Graben landen würde (ohne Fritz), dann natürlich von mir Rettung erwartet, anschließend missgelaunt, nass und stinkend als Entschädigung für seine Plackerei Aufnahme in mein Bett verlangen und die Froschjagd damit endgültig und für immer als nicht katzenwürdig an den Nagel hängen wird. Die Kampfkatze schied also auch aus.
Ich kam zu keiner zufrieden stellenden Lösung. Fritz hingegen quakte noch immer im Minutentakt und wie mir jetzt scheinen wollte geradezu triumphierend. Hören Frösche irgendwann, vielleicht wenn die Sonne gänzlich untergegangen ist, auf zu quaken oder quaken sie mit Vorliebe und besonders laut und lange nachts? Ist das nur eine Phase und dient zur Anlockung von Froschfrauen, oder muss ich mich jetzt auf monatelange Ruhestörung einstellen? Wie bezeichnet man eigentlich wissenschaftlich korrekt Frau Frosch? Können Frösche heißer werden oder Schluckauf bekommen? Stimmbruch? Kehlkopfentzündung? Kann man Frösche mit etwas bewerfen, wenn man ihrer dann mal ansichtig wird, und würde sie das bewegen, fortzuhüpfen – idealerweise leise und für immer? Was eignet sich am besten als Wurfgeschoss und wird nach Möglichkeit nicht am nächsten Tag als Müllattacke auf das Nachbargrundstück gewertet? Alte Brotkanten? Fressen Frösche Brot? Verdanken Froschschenkel ihre Bezeichnung als Delikatesse einem tiefen, urinstinktlichen Rachegefühl?
Fragen über Fragen und ich stellte fest, dass mein Wissen über Frösche mit großen Lücken behaftet war.
Einen Freund versteht man auch mit dem Herzen. Aber einem Gegner kann man nur begegnen, wenn man seine Sprache beherrscht. © Erhard Blanck, (*1942), deutscher Heilpraktiker, Schriftsteller und Maler
Ich beschloss, mein Wissen über diesen unwillkommenen Mitbewohner aufzufrischen und gegen ihn zu verwenden. Mit diesem Vorsatz schlief ich dann doch irgendwann ein.
Dienstag früh:
Noch vor dem Wecker quakte mich Fritz wach, woraufhin der blecherne Wachmacher beleidigt gleich gar nicht mehr piepte und den Dienst verweigerte. Auch das sonst gern praktizierte morgendliche „Nur-noch-5-Minuten-Schlummern” wollte mit dem quäkenden Drillinspektor nicht recht gelingen – ich ging freiwillig als Erste und noch vor den 6-Uhr-Nachrichten duschen und plante meine nächsten Schritte. Erkenntnisgewinnung!
Dienstag Abend, kurz vor dem Zu-Bett-Gehen:
Endlich würde sich die jahrelang mühsam abbezahlte Lexikothek nützlich machen!
Frosch, Zoologie: i. w. S. als Gestaltsbezeichnung: jeder glatthäutige, langbeinige, springende Froschlurch; i. e. S. `Frösche.
Ah ja, „glatthäutig, langbeinig”? Das traf auch auf einige der mir bekannten Mitglieder des örtlichen Ladys Circle zu, jene Damen der gehobeneren Gesellschaft, die beim wöchentlichen Benefiz-Tee-Trinken grundsätzlich den kleinen Finger abspreizen und den neulich erst so günstig ergatterten Brilli unauffällig auffällig glitzern lassen.
Froschbiß als nächstes Stichwort. Ich hatte nicht vor, mich Fritz auch noch als willfährige Beute zu präsentieren und mich beißen zu lassen, was gleich die nächste Frage auf den Plan ruft: Haben Frösche Zähne?! Obwohl: meinen Enkelkindern könnte ich die Narbe eventuell dann eines Tages als schwere Kriegsverletzung verkaufen, als sich ihre Großmutter (respektive also ich) wagemutig in den Kampf stürzte … Der Froschkönig einmal anders, nämlich der Wahrheit entsprechend berichtet, ohne Happy End und Knutscherei zum Schluss! Bestimmt entstand das Märchen vom Frosch, der, nachdem er von der Prinzessin an die Wand geklatscht wurde, wieder zum Prinzen wird, in einer schlaflosen Nacht, als ein anderer Fritz-Frosch jenem unbekannt geblieben Autor in den Wahnsinn trieb und er dann keinen anderen Ausweg mehr sah, als jene Tat zu begehen und nur später die Verwandlung zum Königssohn dazudichtete, nachdem renitente vorchristliche Greenpeace-Krötenretter ihrerseits mit Prügel drohten, als sie von dem Frosch-Klatschen erfuhren!
Frösche, Frösche i. e. S., Raninae, die Unterfamilie der Echten Frösche, zu der die bekanntesten mitteleurop. Frösche gehören: Gras-, Moor-, Spring-, Wasser- u. Seefrosch, ferner die außereurop. Ochsenfrösche u. der größte lebende Froschlurch, der Goliathfrosch. Nach der Färbung u. der Lebensweise unterscheidet man in Mitteleuropa zwischen den landbewohnenden Braun-F.n u. den wasserbewohnenden Grün-F.n.
Ist Ochsenfrosch nicht ein Schauspieler? Und wenn es „Echte” Frösche gibt, dann auch unechte? Und sind die Frösche überhaupt Mitglied der EU? Dürfen die hier so ohne weiteres Einhüpfen wie sie wollen? Was für ein Frosch hockte da wohl bei mir im Gebüsch?
Endlich: ein Eintrag über Froschlurche …
Ach du dicker Frosch! Moment, langsam! Der erste Teil ist ja noch klar und auch so ähnlich jedenfalls in meiner Erinnerung. Aber dass die Zunge entweder vorn angewachsen und vorschnellbar ist (wie jetzt genau???) oder aber auch ganz fehlen kann … und will ich so detailliert über die Sexualpraktiken von Fritz informiert sein? Doch, schon! beschließe ich, denn es ist ja nicht ganz unwichtig zu wissen, dass Fritz während der Paarungszeit blindlings alles umklammert und begattet, also auch eventuell hingehaltene Schrubber/Besen – und diese dann in einen schockähnlichen Zustand verfallen und nicht mehr zu gebrauchen sind. Ich machte mir eine geistige Notiz!
Und was gab es alles für Arten: Urfrösche, Zungenlose Frösche, Scheibenzüngler, Nasenkröten, Krötenfrösche, Echte Frösche, Ruderfrösche, Engmaulfrösche, Wendehalsfrösche, Harlekinfrösche, Kröten, Stummelfußfrösche, Laubfrösche, Südfrösche u. Glasfrösche.
Allerhand! Aber kein Wort davon, was man mit einem Frosch anstellt, der einem die Nachtruhe vermiest!
Aber ich lebe ja – zum Glück – im Zeitalter des universalen, nie versiegenden Ünternätzes! Googlen wir doch einfach mal im deutschsprachigen Raum nach
„Wie ermorde ich einen Frosch?”
107 Seiten! Immerhin! Das Thema scheint nicht völlig gesellschaftsunfähig zu sein! Doch die Frage nach dem WIE blieb bis auf den Hinweis, dass jedes Jahr Tausende Fritzchen auf unbeschrankten Autobahnen, kalten Seziertischen in Schulen oder im Kochtopf vorzugsweise französischer Gourmets ihr Leben beenden, unbeantwortet.
Des Suchens war ich müde! In meinen Kopf schwirrten mittlerweile hunderte Informationen, gewollte und ungewollte, aber nicht eine brauchbare, herum. Ich hab Lexiken gewälzt, das Internet durchsucht, Berechnungen angestellt (Fallgeschwindigkeit und Wurfwinkelberechnungen für ein eventuelles Brotgeschoss, Populationsgeschwindigkeit, Überlebenschancen meinerseits MIT und OHNE Frosch) … Ich hatte genug.
Falls Fritz auch diese Nacht wieder seine Klappe aufreisen sollte, werde ich ihn bewerfen! Mit Brot. Es mag sein, dass ich ihn gar nicht treffe, oder statt seiner eine Ente, oder den rasenmähenden Nachbarn (dann wäre es auch ein guter Treffer!), mag sein, dass ich auch gar nichts erreiche außer dass ich ein paar Spatzen aufscheuche. Egal.
Ich schlich mich in die Schlafstube.
Stille!
Ich krabbelte ins Bett.
Niemand quakte!
Ich schloss die Augen.
Mein Feind schwieg.
Ich lauschte weitere 10 Minuten angestrengt in die Nacht!
Kein Zweifel – Fritz war fort!
Ich begann mir Sorgen um ihn zu machen …
Tja, das Leben kann so scheisse sein, mann muss sich nur mühe geben.
Lustig, ich hätte garnicht gedacht das das *wirklich* so funktioniert. Komische Welt.