Vorwort: Das ist meine erste „öffentliche“ Geschichte, entstanden ist sie im Jahr 1994. Sie ist ein klein wenig auch Scherbenglanz.
Es war dunkel und kalt in der kleinen Kammer, die meinem jüngeren Bruder und mir als Kinderzimmer diente. Ich hatte mich in meine Bettdecke gekuschelt und lauschte, schon etwas schläfrig, den Geräuschen, die von der Straße durch das offene Fenster drangen. Aus dem Lokal unter unserem Zimmer hörte man dumpf Musik, Wortfetzen und Gelächter. Hin und wieder erhellten Lichter vorbeifahrender Autos für einige Augeblicke die Kammer und groteske Schatten tanzten dann über die Wände.
Es war eine dunkle Novembernacht, ich war zehn und ich fühlte mich unter meiner Decke geborgen.
Aus irgendeinem Grund wurde mein Bruder im Bett neben mir unruhig. Vielleicht, weil seine Bettdecke sich verheddert hatte, vielleicht störten ihn auch nur die Geräusche die von der nächtlichen Straße durch das geöffnete Fenster in unser Zimmer hineinwehten. Aufmerksam geworden richtete ich mich in meinem Bett auf und beobachtete, wie sich mein Bruder regelrecht in seine Wut hineinsteigerte und schließlich alles an einem alten, zerzausten Teddybären ausließ. Er zerrte erbarmungslos an den Ohren des Stoffbären, schlug mit seinen Fäusten auf ihn ein, beschimpfte und beleidigte ihn und versuchte sogar, eines der schwarzen Knopfaugen abzureißen. Schließlich warf er den Plüschbären verächtlich in eine Ecke, brachte sein Bett in Ordnung, drehte sich auf die andere Seite und schien den Vorfall bereits wieder vergessen zu haben.
Schweigend und verwirrt hatte ich dem plötzlichen Wutausbruch zugesehen. Nun schien wieder alles in Ordnung zu sein und so kuschelte ich mich tiefer in meine Decke und wollte den Vorfall ebenfalls vergessen. Seufzend schloss ich meine Augen.
Plötzlich hörte ich es: ein leises Wimmern aus der Ecke, in der der Teddy lag. Verwundert sah ich zu der kleinen jämmerlichen Bärengestalt hinüber. Je länger ich den Plüschbären anstarrte, um so deutlicher konnte ich seine Traurigkeit, Einsamkeit und Verzweiflung fast körperlich spüren. Er schluchzte und dicke Tränen kullerten über sein Bärengesicht, glitzerten in der Dunkelheit. Sein Fell war schmutzig und zerzaust, er war allein, er war hilflos und ihm war ganz bestimmt auch kalt. Seine schwarzen Knopfaugen schimmerten und blickten mich bekümmert an. Zaghaft hob er seine Tatze und flehte: ‚Hilf mir bitte, es ist so kalt hier!‘. Hoffnung flog über sein Bären-Gesicht.
Ich musste dem Teddybären helfen! Er brauchte mich jetzt. Und empfand ich nicht auch manchmal so wie er in diesem Augenblick? Unverstanden, allein, ausgestoßen?
„Ich komme kleiner Teddy“ flüsterte ich ihm zu und barfuß schlich ich über die kalten Fußbodenfliesen zu ihm hin, nahm ihn in meine Arme und drückte ihn fest an mich. Aneinandergeklammert huschten wir in mein Bett zurück. Tröstend streichelte ich das Plüschbärchen und sprach beruhigende Worte in sein Ohr. Erleichterung durchströmte und erwärmte mich und der Teddy brummte dankbar. Er hatte vor der kalten einsamen Nacht Zuflucht gefunden. Eng aneinandergeschmiegt schliefen wir ein und ich träumte in jener Nacht von einem kleinen weißen Teddybären mit schwarzen Knopfaugen.