Ausbruch des Mittelalters

Es gibt Tage, Alltagstage, die sind irgendwie perfekt von der ersten Minute an. Gestern war so einer, obwohl es wie ein gewöhnlicher Sommersonnabend begann.

Nach dem Familienfrühstück auf dem Balkon startete ich meinen Hausputz, den Knuffel gekonnt und wie immer ignorierte. Seine Tat war Staub-Saugen. Holla! Nun, ich putzte, denn etwas anderes blieb mir auch gar nicht übrig. Man hatte unser Internet weggepustet. Ich war noch nicht einmal halb mit der Küche fertig, als das über WLan dudelnde Radio mit Santiano einfach abbrach. Zuerst dachte ich (wie immer), dass ich irgendwas wieder falsch oder gar kaputt gemacht hatte. Aber wie sich herausstellte, war das Internet spurlos verschwunden und hatte auch das TV mitgenommen (das ist der Nachteil, wenn man Fernsehen und Telefon/Internet beim selben Anbieter hat). Frust brach kurz bei mir aus, aber ich wollte ja sowieso putzen. Knuffel rief bei KabelD handytechnisch an um zu erfragen, ob das ein generelles Problem wäre, oder nur bei uns was kaputt ist. ‚Es lägen noch keine anderen Störungsanfragen vor; wenn doch, würden wir per SMS informiert; wenn es nur bei uns kaputt bleibt, käme Montag (!) ein Techniker! Montag! Ein ganzes WE ohne Internet und Fernsehen? Sind die noch bei Trost?!
Bei einer Putzpause auf dem Balkon sah ich jedoch das KabelD-Auto um die Ecke schleichen und vor unserem Balkon anhalten. Gerade wollte ich schon herunterbrüllen: „Hey! Ich will mein Internet wieder haben!“, als mich Knuffel auch schon ans Schienbein trat. Hmpf! Der KabelD-Typ stieg aus, fing an, ein Loch zu buddeln und fluchte, buddelte und fluchte, drehte das Auto um, buddelte weiter und fluchte noch mehr. Wir checkten minütlich das Internet, aber wir waren immer noch so gänzlich ohne. Knuffel regte sich (mit Recht) noch darüber auf, dass die Störungsstelle offensichtlich nicht wusste, dass KabelD bei uns heute rumbuddelt! Wie ich Gesprächsfetzen von vorbeihuschenden Nachbarn entnahm, hatte das ganze Viertel über KabelD weder Fernsehen noch Telefon und Internet schon gleich mal gar nicht. Aber wenigstens erfüllte ich mein geplantes Putzsoll in Rekordzeit und kramte dafür sogar wieder eingestaubte CD’s mit Musik der 80iger Jahre heraus.

Am frühen Nachmittag hatte ich dann das Putzen erledigt. Bazillus war arbeiten und Knuffel hatte sein jährliches Whiskey-Date bei seinem Kumpel und war schon abgedampft. Vor Sonntag Nachmittag würde er nicht zurück sein. Ich hatte also die geputzte Wohnung ganz für mich, ein gutes Gefühl, aber immer noch kein Internet. So pflanzte ich mich zufrieden mit Kaffee und dem Hörbuch auf den Balkon und überlegte, wie ich am besten mit dem Fahrrad zum Mittelalterdorffest komme, das an diesem Wochenende in Ovelgönne zum ersten Mal ausgetragen wurde.
2,5 Stunden später radelte ich dann auch mal wieder durch das Moor auf den Weg ins Mittelalter. Die erste Strecke von knapp 20 km hin war ziemlich windig, aber easy fahrrading sozusagen. Ich genoss es, selbst ohne die sonst übliche Musik auf den Ohren. Nach 1 Std. und 13 Minuten war ich in Ovelgönne, suchte und fand das Mittelalter. Es war … süß. Sie haben sich wirklich Mühe gegeben. Natürlich ist es kein Vergleich zum Rasteder Mittelalter- und Phantasie-Spektakulum, aber ich könnte mir vorstellen, dass es sich etablieren würde. Obwohl nur traurig wenige Besucher anwesend waren. Ein paar passend verkleidet, und die meisten schienen aus Ovelgönne selbst zu sein. Die Büdchen, die aufgebaut waren, waren jedenfalls nicht gerade umlagert (nur die aus der Zeit gefallenen Bierbuden). Die Preise waren aber auch ziemlich happig. Für die zwar oberleckere Gemüse-Pilz-Pfanne mit süß-scharfer Chilisoße habe ich ganze 5 Eurotaler berappen müssen, für die Apfelschorle und das Wasser zusammen auch noch mal 5 Euronen! Für ein gebratenes Stückchen Spanferkel sollten gar 6 Euro den Besitzer wechseln! Hmpf! Das war mir dann doch zu happig.

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Dem Ritter hinterher schlendernd fand ich dann auch den Bereich von Ovelgönne, den ich noch nie betreten hatte (weil ich ja sonst immer nur durch dieses kleine niedliche Burddörfchen hindurchfahre auf meinem mittäglichen Job-Wechselturn). Sie haben einen hübschen Park, an dessen Rand dann noch mehr Büdchen aufgestellt waren, Kinder mit Holzschwertern herum rannten und überall Hunde auf der Suche nach Futter waren. Eine Bühne war auch vorhanden und bei meinem Eintreffen versuchte gerade eine typische Dudel-Band unter den 28 Zuschauern, die sich davor auf den Bänken platziert hatten, etwas Stimmung zu verbreiten, was nur bedingt gelang. Mir gefiel’s trotzdem und ich hätte gern noch den zweiten Konzertabend ab 21 Uhr gesehen, traute aber dem Wetter nicht ganz. So schlenderte ich noch einmal um den Markt und bestieg dann doch besser wieder meinen Drahtesel, um gen Heimat zu treten.

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Die Heimfahrstrecke war mit 21,80 km etwas länger, aber komischer Weise noch kurzweiliger; vielleicht, weil der Wind nicht mehr so stark von vorne blies. Ich brauchte exakt 1 Stunde und 20 Minuten, bis ich wieder zu hause war. Auf der Heimfahrt wurde ich von einer  rücksichtslosen Hummel gerammt, befreite ein Schaf aus einem Maschendrahtzaun (wo es neugieriger Weise seinen großen Kopf zwar hindurchgesteckt, aber nicht mehr hinausgezogen bekam), erschreckte einen mit zwei Hunden spazierenden Opa mit iPod-Stöpseln, der sich wunderte, dass um diese Zeit (es war nach 21 Uhr) noch jemand da am Deich unterwegs war; ich sagte Pferden, Schafen, Krähen und zwei Hasen Gute Nacht und kletterte noch eine Deichtreppe kurz hinauf, um dahinter einen Pulk von unglaublich laut lärmenden Piepmätzen zu beobachten.

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Wieder zu Hause angekommen war ich immer noch ganz für mich, genoss den restlichen Abend bei Musik auf dem Balkon und beobachtete eine lautlose blitzende einzelne Gewitterwolke. Hatte auch versucht, diese zu filmen, aber scheiterte an den Lichtverhältnissen.

Ich habe jedenfalls diesen Sonnabend genossen, sogar das mehr oder weniger erzwungene twitterlose Dasein und das fernsehlose Putzen. Vielleicht wäre – wenn ich durch die Flimmerkiste zur Faulheit verführt worden wäre – dieser Sonnabend so ganz anders verlaufen, nämlich weniger Marmeladenglasmomentig.

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