Wenn du nett bist, musst du eben manchmal leiden

Da wollte ich nett sein! Schließlich habe ich mein KINDLE, ich brauche den TV also gar nicht. Soll die 80-jährige Zimmerteilerin also die Fernbedienung und das Bestimmungsrecht ruhig haben, ich stöpsel mich eben einfach ab und Ohrstöpsel rein und bin dann in meinem Universum, bei dem – wenn sie es jemals auch nur mit dem kleinen Zeh betreten würde – ihr Herzschrittmacher vermutlich selbst Flimmern würde. 

Das ging einigermaßen gut, wobei mir hätte dämmern sollen, welchen Dämon ich damit Tor und Büchse öffnete, als dann den gesamten Nachmittag Soap after Soap lief, und zwar in einer Lautstärke, dass selbst die Ohrpropfen nicht alles stumm schalten konnten. Aber lass sie, sie ist alt, und hat Angst, und fühlt sich nicht wohl … 

Dann kam der Samstagabend, und das Oktoberfest der Volksmusik mit dem Silbereisen, dem DJ Ötzi und diversen anderen Gestalten, flackernd, laut, gewollt lustig – und ich hatte keine Chance! Atemlos durch den Abend. Erschießt mich bitte! Wäre es total unangebracht, die Fernbedienungsmacht zurückzuverlangen? Ob ich sie wenigstens bitten könnte, ein paar Oktaven leiser zu stellen, damit ich meine eigenen Gedanken verstehen kann? Aber andererseits: wenn es die Lautstärke ist, in der sie das immer schaut, wie könnte ich dann herummotzen und ihr den Spaß verderben? Also Augen zu und durch, irgendwie! Es muss doch irgendwann zu Ende sein, verdammt. Ist sie überhaupt noch wach? Ihr Kopf hat seit 10 Minuten nicht mehr im Takt gewackelt. Aber die Fernbedienung hält sie fest umklammert in ihrer Hand. Ab wann ist es angebracht, aus dem Bett zu schleichen, ihr die Fernbedienung aus den Händen zu biegen und das Monster auszuschalten? Was, wenn sie dabei aufwacht und wie am Spieß brüllt und dabei ihr Herz versagt? Sollte ich einfach auf den eigenen Klingelknopf drücken, so dass nach vielleicht 22 Minuten mal eine Schwester ihren Kopf ins Zimmer steckt und mich aus dieser Zwickmühle befreit? Seit wann singt denn die Ferres? Oh Gott; wenn ich mit solchen Fragen anfange, ist es nicht mehr weit bis zum Fuß-Wippen und von da an geht es straight zum Mitgröhlen, bis ich jeden Samstag vor dem Fernseher hocke, Käsehäppchen mampfe und die Schlager alle auswendig mitsingen kann. 

3 Stunden später hatte ich es geschafft, das letzte Hossa verklang, ich atmete auf und genoss die Stille. 

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