Traumsequenzen 13.04.2010

Es gab nur ein winziges Fenster, durch das sich kleine Lichtstrahlen zwängten. Die Wände waren weiß gekalkt und fast überall mit Werkzeugen und Schränken behangen und vollgestopft. Auf einer lädierten Kommode stand ein uraltes Röhrenradio; eines jener Sorte, wo man rechts und links zwei Knöpfe hat, um die Senderfrequenzen zu suchen und die Lautstärke einzustellen. In den Schubladen fand ich Unmengen verrosteter Nägel und Schrauben, Eisendrähte, aufgewickelt zu Rollen. Überall waren Sägen, Hämmer, Bohrmaschinen und Kabel. In einer Ecke stapelte sich Holz und in einem Schraubstock klemmte ein Holzklotz, an dem vor kurzen noch gehobelt worden war. Es roch nach Rost, Öl, Holz und Staub – jene unverkennbare Mischung eines Werkstattkellers. Und ich kannte den Keller, es war der meines Vaters. Doch ich war allein, stand an der Tür und blickte in den vertrauten, längst vergessenen Kellerraum aus vergangenen Kindertagen. Meine Finger suchten den Lichtschalter, er war an der vertrauten Stelle, und summend flackerte das Licht einer nackten Glühlampe in der Mitte des Raumes auf.

Ich stand noch immer an der Tür und blickte in den Raum, saugte die Gerüche in mich auf und begann zu weinen. Plötzlich hörte ich Schritte und jemand rief meinen Namen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Hinlaufen, woher die Stimme kam? Ich löschte das Licht der Kellerwerkstatt und als sich auch die quietschende Holztür unendlich langsam schloss, stand ich in völliger Dunkelheit. Ich kannte den Kellergang, der zu der Werkstatt meines Vaters in den Katakomben des alten Mietshauses führte. Ich bin ihn unendlich viele Male gegangen – und immer hatte ich dabei etwas Angst. Die weiß getünchte Werkstatt war so etwas wie eine Insel gewesen für mich, auf die ich zuschwimmen konnte, an den Monstern und Geschöpfen der Schwärze vorbei. Manchmal rannte ich den Gang durch die Kellerschluchten entlang, aber ab einem gewissen Alter achtet man mehr auf Würde; also unterließ ich das Rennen. Das beklemmende Gefühl der Angst blieb trotzdem haften.

Und ich spürte es gerade wieder. Ich war nicht allein in dem düsteren Gemeinschaftskeller. Doch da war noch immer auch die Stimme, die meinen Namen rief, weit weg. Irgendwo draußen. Ich tastete mich an der Wand entlang, spürte die Ritzen und den groben Putz an den Fingern. Ein Atmen war an meinem Ohr, ganz nah und meine Nackenhaare sträubten sich. Ich selbst atmete nicht mehr, sondern blieb regungslos stehen, zitternd an die Wand gepresst, die Augen geschlossen.

Wieder hörte ich die Stimme – besorgter, entschlossener, näher! Ich konzentrierte mich auf die Stimme, sie war meine Insel, sie würde mich aus dem Keller führen. Ich tastete mich weiter und ignorierte das Schnaufen in meiner Nähe.

Am Ende des Kellerganges fiel durch die Ritzen Licht. Ich wusste, es war das geschlossene Fenster, das direkt auf den Hof hinausging. Jetzt waren die großen Flügeltüren aus Holz davor geschlossen. Und wie immer würde ein Schloss verhindern, dass Fremde das Fenster zum Keller öffneten. Ich hatte keinerlei Hoffnung, dass ich dort hinaus kommen würde – aber ich musste dort hin. Irgendwie. Von dort kam die Stimme, auf der anderen Seite, im Licht. Ich hörte sie ganz deutlich. Ich tastete mich weiter zu den winzigen Lichtfetzen vor, ignorierte meine Angst und das Flüstern um mich herum. Dann erreichte ich das Fenster. Die Holzflügeltüren waren wie erwartet mit einem verrosteten Schloss verhängt und ich war nicht in der Lage, sie zu öffnen. Ich schluchzte und fiel auf die Knie auf den staubigen, dreckigen Kellerfußboden. Ich hatte verloren. Die Dunkelheit würde mich schlucken.

Und dann hörte ich wieder die Stimme – auf der anderen Seite des verschlossenen Fensters; und sie rief meinen Namen. Ich kannte die Stimme. „Hier!“ rief ich. „Ich bin hier! Bitte!“ mehr sagte ich nicht.

Dann öffneten sich die beiden Flügeltüren und Licht flutete hinein. Eine Hand streckte sich mir entgegen und zog mich auf die Füße. Ich kletterte aus dem Kellerfenster, schluchzend vor Glück, der Dunkelheit entkommen zu sein. Ich ließ die Hand nicht mehr los. Die Hand trug einen silbernen Ring.

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