Die Leiche bei der Tante

Gleich hinter den zwei großen zwei Monitoren war eine Gitterwand. Die ganze Hauswand bestand eigentlich aus Drahtgitter. Ich arbeitete an den Monitoren und konnte durch die Gitterhauswand beobachten, wie ein gigantischer Zwinger auf dem Nachbargrundstück errichtet wurde. Mein Chef freute sich schon und rieb sich die Hände bei der Aussicht, seinen Hund jeden Tag in den neuen Hundekindergarten zu bringen und dann ihn von seinem Platz aus quasi beobachten zu können, wie er Hundeohren flatternd über die Wiese rennt. Bis dahin sollte ich aber an den zwei Monitoren noch die Tabelle fertig machen. Doch ich konnte mich nicht konzentrieren.

Plötzlich stand eine kleine Frau mit langen Haaren neben mir und verlangte im befehlerischen Tonfall, dass ich gefälligst mit ihr jetzt mitkommen müsse zum shoppen. Ich zuckte die Schultern und trabte mit ihr los. Wir trafen auf eine Gruppe Punks, die auf einem Treppenvorsatz rumlümmelten und sich langweilten. Die Vortreppe war im griechischen Stil sehr pompös angelegt. Auf beiden Seiten der Treppe ragten weiße Säulen in den verregneten Himmel, ein Dach deckte die kleine Terrasse bis zur eigentlichen Eingangstür ab. Eine der Säulen war wie ein Baumstamm ausgehöhlt, um einem Portier Unterschlupf zu gewähren, wenn er keine Gäste zum Eingang begleiten musste. Rechts von dem Säulentreppengang befand sich ein Wassergraben, der mit Gebüsch regelrecht zugewachsen war.

Ich kannte diese Treppe; ich war mir sicher, dass ich hier schon einmal gewesen war. Als Kind hatte ich immer auf der Treppe mit dem Portier gespielt, wenn die Herrschaften des Hauses es nicht sahen. Aber wo war der Portier? Ich blickte mich um, konnte aber niemanden entdecken. Auch die Punks hatten hier noch nie jemanden gesehen. Ich rannte – Ungutes ahnend – hinunter zum Graben und fischte weiße Kopfhörer aus dem Wasser. Die Kopfhörer des Portiers! Wenig später entdeckte ich auch eine bleiche Leichenhand, die zwischen dem Gebüsch hervorlugte. Der Fall war klar: Der Portier wurde ermordet.

Die Punk-Gruppe und ich liefen die Treppe hinauf und klingelten Sturm. Schließlich wohnte hier meine Tante. Der Obermieter öffnete jedoch. Ich ließ ihn nicht zu Wort kommen, sondern stürmte an ihm vorbei, um meine Tante zu suchen. Ich rief nach ihr, sie antwortete auch, aber sehen konnte ich sie nicht. Ich schlitterte eilig den langen, gerade gewischten und gebohnerten Flur entlang und schaute in alle Zimmer. Den Punks befahl ich, am Eingang auf mich zu warten, um den gewischten Flur nicht zu vertappsen und damit meine Tante zu verärgern. Aber wo steckte die Tante? Ein Mädchen saß am anderen Ende des Flurs an einen Tisch und schimpfte, dass die Tante gar nicht mehr aus dem Badezimmer rauskäme in letzter Zeit und sie sich deswegen ständig ihr Essen selbst machen müsste, was eine Frechheit wäre. Dabei manschte sie Kartoffeln und Quark mit bloßen Händen zusammen. Mir wurde schlecht bei dem Anblick und auch die Punks sahen bereits ziemlich käseweiß aus, obwohl sie brav einige Meter weit weg standen.

Wo war die verflixte Tante? Immerhin hatte ich gerade die Portiersleiche im Grabenwasser gefunden.

Plötzlich: Ein Schatten an der Eingangstür! Die Punks versteckten sich wie die aufgescheuchten Hühner ängstlich und das Mädchen ließ den Teller mit der Kartoffel-Quark-Pampe fallen. Feiglinge! Dachte ich und schlich zu Tür, um den Schatten näher in Augenschein zu nehmen. Jemand vergriff sich an dem Briefkasten und zerrte die Post heraus! Ich riss die Tür auf und sah nur noch, wie ein schlacksiger Kerl im schlecht sitzenden Anzug mit der Post zu einem Auto rannte. Aber ich hatte keine Zeit für den Postdieb; es wartete noch immer eine Leiche! Die Tante war noch nicht wieder aufgetaucht. Der Flur war voller Fußtapsen, die meisten von mir. Bestimmt hatte der Portier auch Fußabdrücke auf dem frisch gewienerten Flur hinterlassen und jetzt war er tot. Ich blickte auf die Uhr; Viertel nach 6. Die Polizei hatte bereits geschlossen. Ich schickte die Punks nach hause; wir würden morgen den Leichenfund melden.

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