Schlampig?

Ich habe lange überlegt, ob und – wenn überhaupt, ob dann öffentlich –  ich darüber bloggen sollte, welcher Vorwurf mir gestern von Chef gemacht wurde. Ich habe mich für das Öffentliche entschieden, nachdem ich mir die ganze Sache quasi eine Nacht lang durch den Kopf habe gehen lassen. Zum Verständnis sollte ich aber von vorn beginnen:

Freitage sind im Vormittagsbüro immer besonders arbeitsgeladen, jedenfalls in der Regel. Der gestrige Freitag machte keine Ausnahme, und noch holen wir ja die 2-Wochen-Urlaubszeit der Vollzeitkollegin auf. Da bleibt eben vieles liegen, das ist einfach so und auch nicht weiter tragisch.

Eigentlich hatte ich gute Laune, das Vancouver-Shirt passt wieder besser und spannt nicht so und Freitage sind keine Trauertage, trotz der vielen Arbeit. Das Wochenende winkt bereits verführerisch.
Ich lag gut in meiner persönlichen Büro-ToDo-List, die Buchhaltung war in den Akten bereits wieder eingetragen, nur noch nicht direkt gebucht, das wollte ich gern in Ruhe machen. Wichtiger waren die Diktate, einige eilige darunter, die am selben Tag möglichst noch raus sollten. Alles normal – eigentlich.

Als ich im Chef-Büro diesen nach einer bestimmten Akte fragte, die ich suchte und – wie immer – bei ihm noch vermutete, entwickelte sich das Gespräch aber ganz plötzlich in eine andere Richtung.

„Frau J., in letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass Sie schlampig geworden sind, vor allem, was die Buchhaltung betrifft!“ warf er mir vor, und ich war auf diesen Vorwurf so gar nicht vorbereitet. Ich schluckte. Schlampig? Manchmal, in stressigen Zeiten, bin ich vielleicht schusselig, aber generell schlampig? Ich sagte nichts, hörte erst einmal zu; aber innerlich ging ich bereits in Abwehrstellung. Meine bis dahin gute Laune hatte sich schlagartig verflüchtigt.

„Zum Beispiel hier in dieser Sache“, sprach er weiter. Er hielt mir die entsprechende Akte unter die Nase. „Sie schauen nicht mehr den Kostenbogen an, sondern buchen wahllos einfach drauf los! Dabei hätten Sie erkennen müssen, dass das keine Gebühren sind!“ Sein Finger pochte vorwurfsvoll auf den letzten Eintrag im Aktenbogen.
Ich schluckte und schaute genauer hin. Ja, kein Zweifel, die Eintragungen stammten von mir, und sie waren offenbar falsch.
„Wenn Sie, wie ich es Ihnen angewiesen habe, immer in die Akte schauen würden, wäre das nicht passiert! Das ist hochgradig peinlich, dass dieser Geldeingang falsch verbucht wurde. Das sind keine Gebühren, das gehört dem Mandanten; das hätten Sie erkennen müssen, wenn Sie sich die Zeit genommen hätten, in die Akte zu schauen. Ich kann schließlich nicht alles überprüfen!“ fuhr er fort. „Das ist einfach nur schlampig!“
Ich stand mit knallrotem Kopf neben Chef und starrte auf den Aktenbogen mit den falsch verbuchten Gebühren. Warum hatte ich das nicht erkannt? Jetzt, mit den Erklärungen Chef’s, sah ich es auch. Natürlich! Aber warum habe ich es nicht vorher erfasst? Ich stand schweigend wie ein gescholtenes Kind vor dem Schuldirektor, konnte nichts sagen. ‚Nur nicht weinen!‘ kreischte es in meinem Kopf. Deswegen heult man doch nicht!
Chef erklärte weiter, wie peinlich ihm die Sache war, als er dem Schuldner eingestehen musste, dass natürlich die Sache längst gezahlt war. Ich hörte kaum zu, sondern versuchte zu rekapitulieren, warum ich diesen Geldeingang als Gebühren und nicht richtiger Weise als Fremdgeld verbucht hatte. Ich ergattete die Akte und blätterte darin, und fand den Kostenfestsetzungsantrag  mit genau dem eingegangenen Betrag! Ja, richtig! Mir fiel es wieder ein! Natürlich schaue ich in die Akten, auch in den Aktenbogen; und ich hatte bei dieser Buchung sicher nicht aus dem Bauch heraus entschieden, die Zahlung als Gebühren zu verbuchen. Ich war mir schlicht sicher gewesen, dass es auch Gebühren waren!
Noch immer konnte ich nichts sagen, sondern schlich wieder aus dem Chef-Büro, seine Ermahnung noch in den Ohren, jetzt aufmerksamer zu buchen!

Ab da an zog sich mein Freitagvormittag. Er wollte einfach nicht vorbei gehen. Ich arbeitete meinen Kram ab, still, sehr still. Es fiel auch schon S. auf, die gar nicht mitbekommen hatte, wie mir gerade der Kopf gewaschen wurde.

‚SCHLAMPIG!‘ hallte es immer wieder durch mein Gehirn. War ich schlampig geworden?

Nein, war ich nicht! Fehler passieren, davon ist niemand frei. Doch in dieser bestimmten Sache habe ich den Fehler gar nicht als Fehler erkannt! Ich war bei der Buchung nicht eine Spur unsicher gewesen, dass es sich möglicherweise nicht um Gebühren handeln könnte! Aber jetzt bin ich unsicher! Wie viel – in anderen Akten – ist noch falsch gebucht worden?

Andererseits: Wie oft – vor allem als ich die Buchhaltung vor 3 Jahren übernahm – hatte ich Geldeingänge vorsichtshalber in das Fremdgeldkonto gebucht, um erst mit Chef zu sprechen, was es denn nun genau wäre; Gebühren (die uns zustehen) oder eben Fremdgeld, das wieder ausgezahlt werden müsse? Und wie oft war er einfach genervt und hielt mir eine Predigt derart, dass ALLES erst einmal ihm gehört. Im Zweifel immer für den Anwalt!

Der Freitag ging dann doch vorbei, ich tippte einfach wie besessen und achtete darauf, dass ausschließlich fehlerfreie Schriftsätze in der Unterschriftenmappe landeten.

‚Schlampig! Sie sind schlampig geworden!‘

Je länger ich darüber nachdachte, um so ungerechter kam mir der Vorwurf vor. Ja, ich hatte da einen Fehler gemacht, keinen Flüchtigkeitsfehler, sondern einen Verständnisfehler. Meine gesamte Arbeit aber dann als ’schlampig‘ zu beurteilen? Das traf! Ich bin nicht schlampig!

Am Nachmittag, bevor mich das Couchkoma überfiel, und auch am Abend im Bett dachte ich weiter darüber nach. ‚Schlampig!‘ Das Wort schien sich in mein Gehirn festzubrennen. Aber mittlerweile hatte ich den Vorfall eingehend analysiert.

Das Ergebnis: Offenbar kam Chef gar nicht auf die Idee, dass ich einen Aktenvorgang nicht verstanden haben könnte. Seine unweigerliche Erklärung für den aufgetretenen Fehler: Ich muss schlampig gearbeitet haben, nicht bei der Sache gewesen sein.
Ich arbeite jetzt seit 12,5 Jahren in der Anwaltskanzlei, seit 3 Jahren kümmere ich mich um die Buchhaltung, um Chef zu entlasten. Gelernt habe ich Bürokauffrau, hatte von Anwaltskram zu Beginn nicht den Hauch einer Ahnung; alles war neu. Auch die Buchhaltung machte mir erst gewisse Probleme, weil sie so aufgebaut ist, dass ein Nicht-Gelernter sich schnell zurechtfinden kann, wenn er nur weiß, ob es sich um eine Ausgabe oder Einnahme handelt. Der in der Berufsschule mir eingebleute ewige Buchungssatz SOLL an HABEN stiftete da zu Beginn bei mir eher Verwirrung.

Wie gehe ich jetzt damit um, dass Chef mein anwaltliches Denken quasi für fehlerfrei hält und demzufolge Fehler, die passieren, auf Schlampigkeit zurückführt? Soll ich mit ihm sprechen?
Was ist besser, wenn er glaubt, ich arbeite schlampig, ohne zu ahnen, dass ich es (zumindest in dem Fall) einfach nicht besser wusste? Schlampigkeit kann man abstellen, Unwissen eher nicht – zumindest nicht, wenn dir niemand deine Fehler erklärt.

Ich muss mit Chef also reden, am Montag, und ihm gestehen, dass es keine Schlampigkeit meinerseits war, sondern Unwissen/Unverständnis. Und dass ich es für ungerecht halte, von einem gemachten Fehler auf die gesamte Arbeit zu schließen!

Denn ich bin nicht schlampig – aber offenbar manchmal schlicht zu blöd!

Dieser Beitrag wurde unter Blog veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Schlampig?

  1. JMacLean sagt:

    Du bis nicht blöd oder schlampig, Fehler passieren. Aber wegen eines Fehlers die gesamte Arbeit zu verurteilen, ist schon unfair. Vielleicht hat er nur seinen Frust abreagieren müssen. Ich würde mit ihm reden. Aber genieße erstmal das Wochenende, es bringt ja nichts, sich die ganze Zeit Gedanken darüber zu machen, vor Montag kann man eh nichts machen 😉 *hugs*

  2. Brüderchen sagt:

    So eine Kopfwaschung vom Chef kenne ich gut, ist mir auch schon passiert. Meine Empfehlung: Gelassen bleiben, auch wenn’s schwer fällt! Und auf keinen Fall gleich am Montag die Sache beim Chef wieder zur Sprache bringen. Dadurch wird nur das Gegenteil von dem erreicht, was du dir erhoffst. Er wird seine Meinung nicht sofort völlig umkehren – sondern sie eher bestätigt sehen, wenn du dich zu rechtfertigen versuchst. Also lass die Zeit für dich arbeiten. Chef wird dann selbst sehen, dass du tadellose Schriftsätze vorlegst und sehr sorgfältig buchst. Das bewirkt viel mehr als jedes überlegt gesprochene Wort. Wenn Chef später wieder besser drauf ist, kannst du immer noch mit ihm darüber sprechen, dass einige Vorgänge für dich manchmal schwer verständlich sind.
    Einen ganz lieben Gruß

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.