Du musst aber den Bastrock tragen!

Während ich so im Krankenhaus herumlag und nichts weiter zu tun hatte, als auf Futter, den nächsten Tropf, die nächste Spritze und überhaupt zu warten, und ich – sollte mann es glauben können? – zu viel KINDLE hatte, oder zumindest erst die eine Geschichte verdauen musste, bevor ich mit einer neuen anfangen konnte; schlicht also, als ich viel Zeit hatte und den Krankenzimmerfernseher ganz für mich alleine, erzappte ich mich in eine Art Doku. Es ging um indigene Natur-Völker in Brasilien, die – wir wissen es ja alle – verdrängt werden. 

Und dann hatte ich plötzlich ein Dilemma. Ein völlig neues. 
Natürlich unterschreibt jeder sofort, dass die Naturvölker in Ruhe gelassen werden sollten, geschützt werden und ihre Art zu leben und ihre Traditionen bewahrt werden müssen. Meistens hörte ich an dieser Stelle auf zu denken. 

Aber ist das wirklich so? 
Wir reden im gleichem Atemzug von Globalisierung und Entwicklung, und während in den modernen Städten eine iPhone-Entwicklung die nächste in den Schatten stellt, laufen auf der anderen Seite der Welt halbnackte Menschen barfuß durch die wenige Urwälder und erlegen Vögel oder Zeugs mit selbst gebastelten Speeren, so wie es die Vorfahren eben schon vor 20.000 Jahen getan haben. 
Fragt jemand mal die indigenen Völker, ob sie weiterhin so leben wollen, wie ihre Vorfahren vor 20.000 Jahren? Und wenn sie es nicht mehr wollen, die Jugend eben auch lernen will, sich anpassen will an den – ja – Luxus ….  lassen wir das dann zu, oder bestehen wir darauf, dass sie gefälligst so zu bleiben haben, wie sie sind, weil wir denken, dass sie das wollen und es so wunderbar in unsere humanistische Weltanschauung passt, wie edel wir sind, dass wir sie beschützen und sie sein lassen, im Schlamm hausend, Bastrock tragend und an Naturgötter glaubend. Doch wenn wir ihnen nicht gestatten, sich zu entwickeln, sind wir dann nicht genau so verantwortlich für ihren Untergang wie jene, die ihre Art zu Leben anderen einfach aufdrängten? Wollen wir, dass es der Welt gleichermaßen gut geht, also allen; auch wenn das bedeutet, dass man eben bestimmte Lebensarten aufgibt? 

Ich kenne keinen einzigen „Ur-Indianer“ oder Regenwaldbewohner persönlich; ich weiß also auch nicht, was sie wollen. Aber ich wundere mich, ob man sie fragt, ob man ihnen Entwicklungshilfe anbietet und sie selbst entscheiden lässt, was sie in welchem Tempo für sich übernehmen wollen, auch wenn es bedeutet, dass eines Tages diese Lebensweise nur noch als Geschichtslektion dient, oder Traditionen nur noch zu bestimmten Gelegenheiten praktiziert und gezeigt werden. 

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